Full text: Aus Tagen deutscher Not

und umſchlang ihn herzlich, wie einen wiedergefundenen Bruder. 
Dann führte er ſeinen Beſuch zu ſeiner Frau, die den Gaſt 
gleichfalls auf das herzlichſte begrüßte. Seume mußte einige 
Tage in Schmalkalden bleiben. 
Als die Freunde beim blinkenden Weine ſaßen, berichtete er 
aus ſeinem Leben. Ergriffen hörten ihm die andern zu. Als er 
geendet, fragte Münchhauſen: „Aber, woher kommen Sie 
nun? Sie ſehen ſo wandermäßig gerüſtet aus!“ 
„Ich habe einen Spaziergang nach Syrakus gemacht, Ver⸗ 
ehrteſter. Swei Jahre hab' ich bei Göſchen geſeſſen, dann kam 
der alte Wandertrieb. Da gab's kein Widerſtreben, und im 
Dezember vorigen Jahres brach ich auf, ging durch Böhmen und 
Oeſterreich und über den Semmering nach ZItalien, habe viel 
Schönes und Merkwürdiges geſchaut, aber auch viel menſchlichen 
Jaͤmmer und menſchliche Dummheit und Unfreiheit ... ja, 
Freund, ich wollte, daß der Menſchheit endlich ein Meſſias käme!“ 
„Die Franzoſen haben ja die Freiheit — meinen Sie, daß 
ſie glücklich ſeien?“ 
„Sie ſind in einem Rauſche, der uns in Deutſchland noch 
gefährlich werden kann. Ihr erſter Nonſul Bonaparte, den ich 
in Paris wiederholt geſehen, den ſie ſcherzweiſe ſchon Seine 
Majeſtät nennen, hat das Seug dazu, eine Majeſtät, aber auch 
vielleicht eine Suchtrute für die Völker zu werden. Was die 
franzöſiſche Freiheit wert ſein mag, weiß ich nicht, aber gewiß 
iſt's doch, daß ſie die Nation begeiſtert, und den Ärieg, den 
Frankreich ſoeben glücklich gegen Oeſterreich, Rußland und Eng— 
land beendet, und bei dem Deutſchland im Frieden von Luneville 
ſein linkes Rheinufer verloren hat, daß ſie, ſage ich, dieſen Krieg 
hat im ſtolzen, nationalen Freiheitsbewußtſein mitführen helfen. 
Wenn uns in Deutſchland nur erſt das Bewußtſein der Not⸗ 
wendigkeit nationaler Freiheit und Einheit käme!“ 
„Sie mögen recht haben, lieber Freund, es ſieht traurig bei 
uns aus, und manchmal fürchte ich auch, daß ganz Deutſchland in 
Trümmer gehen könnte. Meine HRoffnung ſteht nur auf Preußen, 
dem Staate Friedrich des Großen.“ 
„Ja, wenn er das noch wäre!“ erwiderte Seume traurig. 
„Aber daß er es glaubt, zu ſein und doch nicht iſt, das kann 
ihm noch verhängnisvoll werden. Man redet ſich hinein in Kraft 
und Ruhm vergangener Tage, ohne beides zu beſitzen. Man iſt
	        
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