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„Ja, ja, im deutſchen Volke ſteckt ein guter, braver Kern
allenthalben — Gott erhalte ihn! Wir werden ihn noch brauchen
können, denn die Seitläufe ſind trübe.“
„Ja, die Wetterwolken von Frankreich her werden uns zu
ſchaffen machen. Der erſte Konſul, Napoleon Bonaparte, iſt ein
ehrgeiziger und kühner Mann.“
„Und wir Deutſche ſind eine arme, zerriſſene Nation! Aber
wenn erſt die Not kommt, die große Not, dann werden wir wohl
einig werden — das iſt meine Boffnung.“
Die Beiden redeten noch eine Weile, bis andere Gäſte kamen.
Am andern Morgen aber verließ Seume Vach, und ritt auf
einem Gaul, den er von ſeinem Wirt gemietet, auf der Straße
gegen Schmalkalden fort. Vor dem Städtchen hielt er noch einmal
an und ſah ſich um, und ſeine Vergangenheit erwachte lebhafter
mit allen Erinnerungen an ſeinen heſſiſchen Soldatendienſt auch
jenſeits des Ozeans. Da ſtand beſonders freundlich die Geſtalt
des braven Münchhauſen vor ſeiner Seele. Wenn er jetzt
doppelt friſch und fröhlich hineinritt in den goldigen Berbſt—
morgen, ſo geſchah es ja eben, weil er den Freund, der in
Schmalkalden ſich ein Heim gegründet hatte, dort aufſuchen wollte.
Er kam durch freundliche Meiningenſche Dörfer, und da
Straßen und Wege und Brücken überall in gutem Stande waren,
erhöhte ſich noch ſein Behagen, und er murmelte vor ſich hin:
„Bier iſt ein gut Regiment! Da brauche ich den Berzog
und ſeine Schlöſſer gar nicht erſt zu ſehen, denn hier geht's
dem Volke gut.“
In Schmalkalden ſuchte er Münchhauſen auf, der in einem
freundlichen Hauſe wohnte. Er ließ ſich als einen „Bekannten“
anmelden, der eben aus Frankfurt käme. Münchhauſen erſchien
ſofort; er hatte ſich wenig verändert in den neunzehn Jahren,
die ſie ſich nicht geſehen, aber er ſeinerſeits ſchaute verwundert
und fragend den Fremden in ſeinem etwas ſeltſamen Aufzuge an.
„Verzeihen Sie, mein Herr, aber ich kenne Sie nicht!“ ſprach er
endlich faſt verlegen; Seume jedoch lächelte und zeigte ihm einen
Ring, den er am Finger trug, und in welchem ſich ein kleines
Bild Münchhauſens befand.
„Rier habe ich einen Empfehlungsbrief!“ ſagte er, und nun
übergoß das Geſicht des andern eine dunkle Röte; er jubelte auf:
„Seume — mein braver Seume — ſind Sie's denn wirklich?“
Ohorn, Not. 6