Full text: Aus Tagen deutscher Not

78 
Tagen faßt mich eine unendliche Sehnſucht dahin. Dieſen fremden 
Soldatenrock möchte ich ausziehen, den ſchlichten Rock des deutſchen 
Schulmeiſters tragen und die junge deutſche Generation heran⸗— 
bilden helfen, daß ſie für die große Zeit, die unſerm Volke kommen 
muß, reifer ſei, als dieſe Polen!“ 
„Ich verſtehe Sie nur halb! Ich bin ein Abenteurer, der 
kaum mehr ein Recht hat, von ſeiner Beimat zu reden — aber 
ich achte Sie, und wenn in Deutſchland viele Ihresgleichen ſind, 
ſo hat Ihr Volk eine große Sukunft. Ich gönne ſie ihm — und 
darauf laſſen Sie uns anſtoßen!“ 
Wieder klangen die Gläſer, während von der Gaſſe her 
rohe Lieder trunkener Horden dazwiſchen erſchallten. 
Seume konnte mit ſeiner Gefangenſchaft zufrieden ſein, nur 
mußte er noch genug des Düſteren und Grauenhaften mit erleben 
und anſehen. Binrichtungen von Gefangenen, ſowie von ange— 
ſehenen Ruſſen waren an der Tagesordnung, und ſelbſt der 
Fürſtbiſchof Maſſalski wurde gehenkt. Die Wut des Pöbels brach 
immer wieder von neuem aus und forderte ihre Opfer. Gerne 
hätte Seume einmal den Meiſter Dornbuſch aufgeſucht, aber es 
war unmöglich, ja ſein Freund Dechard konnte ihn ſelbſt nicht 
ganz davor ſchützen, daß er, wie andere gefangene ruſſiſche 
Offiziere eine zeitlang in Kleidung und Nahrung ſehr dürftig 
gehalten wurde. Die Verhältniſſe waren eben ſtärker als die 
Freundſchaft. 
Die Sachlage änderte ſich, als endlich die Ruſſen unter 
Suwarow heranrückten. Bei Maciejowice war Uoscziusko ge⸗ 
ſchlagen und ſchwer verwundet worden, und am 4. November 
donnerten die ruſſiſchen Kanonen gegen Warſchau. Im erſten 
wilden Anſturm wurde die Vorſtadt Praga genommen. Ein 
grauenhaftes Blutbad entſtand in ihren Gaſſen, und während die 
Feuersglut aus den Dächern aufloderte, ſuchte der Tod ſeine 
Opfer in allen Bäuſern. Weiber und ÄNinder wurden nicht ver⸗ 
ſchont, und über Baufen von Leichen brachen die rauchenden 
Trümmer zuſammen; die Weichſel aber führte tauſende von 
Leichen ſtromabwärts. Unter den Erſchlagenen war auch Dechard. 
Seume war wieder frei, und ſein erſter Weg war zu Dorn— 
buſch. Der wackere Meiſter war überglücklich, als er ihn wieder⸗ 
ſah, er hatte gefürchtet, daß man ihn bei dem Aufſtand hinge— 
mordet habe. Auch ſein Weib freute ſich, Seume kennen zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.