Full text: Aus Tagen deutscher Not

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und von Grauen erfaßt, flüchtete er hinauf nach einem der oberſten 
Böden und verbarg ſich hier hinter einer Anzahl alter Fäſſer. 
Er hörte das wilde Lärmen und Rumoren der zügelloſen Scharen 
im Stockwerk unter ſich und zuletzt auch neben ſich, denn ſelbſt 
um ſein Verſteck her ſtöberten und ſuchten ſie nach Ruſſen. Feſt 
umklammerte er den Griff ſeines Degens, bereit, ſein Leben, wenn 
es ſein müßte, ſo teuer als möglich zu verkaufen, aber allmählich 
verlief ſich das Volk. Das war kein ſtiller Freitag. Langſam, 
endlos langſam verſtrich Seume die Nacht; von der Gaſſe herauf 
ſchallte noch immer dumpfes Lärmen. An Schlaf war nicht zu 
denken. Am Morgen aber kam das Fürchterlichſte. Sine Anzahl 
verſprengter Ruſſen, auch Weiber und Vinder, hatten ſich auf 
einen andern Teil des Oberbodens, der von Seumes Verſteck nur 
durch eine Bretterwand getrennt war, gerettet. Eine betrunkene 
Polenhorde hatte ſie aufgeſpürt, und nun wütete unmittelbar neben 
ihm ein grauenhafter Kampf. Die Ruſſen wehrten ſich mit dem 
Mute der Verzweiflung; Schüſſe krachten, bei der Enge des 
Raumes doppelt fürchterlich. Die Weiber kreiſchten, die Kinder 
ſchrieen in ihrer Todesangſt . . . und Seume fühlte, wie vor 
kaltem Entſetzen ſein Baar ſich ſträubte und das Blut beinahe in 
ſeinen Adern erſtarrte. Sollte er ſich mit hineinſtürzen in den 
nutzloſen Nampfd Es wäre auch ſein gewiſſer Tod geweſen. 
Aber drüben ward es ſtill; das grauenhafte Gemetzel war zu 
Ende. 
Aber was ſollte mit ihm werdend ZSu all dem Fürchterlichen 
plagte ihn auch Bunger und Durſt, denn ſeit Mittwoch Abend 
hatte er ſo gut wie nichts gegeſſen. Er ſchlich an eines der Fenſter 
und ſpähte hinaus in den Bof. Er ſah Greuel der Verwüſtung, 
wildes, umherlagerndes Geſindel, lodernde Feuer; matt kroch 
er in ſein Verſteck zurück. Die Natur verlangte ihr Recht, todmüde 
ſank er hinter den Fäſſern auf den Boden und ſchlief ein. Nach 
einiger Zeit erwachte er von dem Lärm ſchwerer Schritte und vom 
Rlirren von Waffen. Feſter erfaßte er ſeinen Degen, hielt den 
Atem an — der nächſte Augenblick konnte das Ende bringen. 
Aber lärmend und fluchend zogen die Polen vorbei; Seume 
jedoch war entſchloſſen, nun das Aeußerſte zu wagen. Er riß 
ſich die militäriſchen Abzeichen von Hut und Rock, ließ ſeinen Degen 
liegen, knöpfte den einfachen blauen Ueberrock zu, und ſchritt ſo 
die Treppe langſam hinab. Er ging im Bofe mitten durch das
	        
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