Full text: Aus Tagen deutscher Not

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auf, und ſtürzten ſich gegen die zu ihren Regimentern eilenden 
Ruſſen. Bald war der Kampf allgemein. Es war ein blutiger 
Grüner Donnerstag. Aus allen Bäuſern und Winkeln krachte 
und knatterte es unheimlich, die Gaſſen füllten ſich mit Toten 
und Verwundeten. Als der Abend ſich ſenkte, hatten ſich etwa noch 
4000 Ruſſen glücklich durchgeſchlagen. Igelſtröm aber weilte noch 
in Warſchau, und in ſeinem Gefolge auch Seume. 
Die Nacht war fürchterlich. Die Sturmglocken heulten unauf⸗ 
hörlich, dumpfe Trommeln raſſelten, furchtbar dröhnte der Donner 
der Kanonen, das ſcharfe Urachen der Gewehrſchüſſe das Schreien 
der Kämpfenden, und über dieſe grauenhaften Bilder goß der 
Mond ſein mildes, weißes Licht. Gegen den Palaſt Igelſtröms 
waren mehrere Stürme erfolgt, bis gegen Abend die Polen daraus 
zurückgedrängt und die Torwege mit toten Pferden verſperrt 
wurden. Seume blutete das Berz bei den Gräueln des Kampfes 
um den Palaſt, aber kaltblütig hatte er in dem heftigen Cumult 
geſtanden; er ſah den Untergang vor Augen. Am andern Tage 
wurde der Streit noch erbitterter; Igelſtröm erkannte, daß ihm 
nichts übrig bliebe, als ſich zu ergeben oder ſich durchzuſchlagen. 
Er war zu dem letzten entſchloſſen. Um die erſten Nachmittags⸗ 
ſtunden des Freitags war der Rampf am erbittertſten; an der 
Seite des Generals kämpfte Seume im dichten Gedränge; da 
brach hart neben ihm ein junger Offizier zuſammen, den er um 
ſeines heitern Weſens willen liebgewonnen, und mit raſcher Ent⸗ 
ſchloſſenheit hob er ihn auf und ſchleppte ihn mit Mühe aus dem 
Kampfgewühl nach dem unfernen Rotel des Grafen Borch, aber 
das wurde für ihn ſelbſt verhängnisvoll. 
Wwährend er menſchenfreundlich für den Verwundeten ſorgte, 
verklang allmählich das Schießen und Lärmen, und da Seume 
hinabblickte auf die Straße, war es ihm klar, daß ZIgelſtröm 
ſich mit ſeinem Baufen gegen Povonsk durchgeſchlagen haben 
mochte, aber auch, daß er ein Gefangener und der Wut der 
Polen preisgegeben war. Was er in der Gaſſe erblickte, war 
furchtbar. Mit wilder Wut und unter dem jauchzenden Geſchrei: 
„Freiheit und Noscziusko!“ metzelten die wilden polniſchen Scharen 
mit gerade genagelten Senſen und Flintenkolben die verwundeten 
oder zurückgebliebenen Ruſſen nieder. Seume ſah ſein furchtbares 
Schickſal voraus. 
Er hörte, wie die Horde bereits in das Palais Borch einbrach,
	        
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