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Schuldigkeit tun, wenn mich das auch nicht abhalten wird, den
braven Gegner zu achten!“
Graf Uarin verſtummte, General Igelſtröm aber rief vom
obern Ende der Cafel:
„Mon cher, Sie ſind ein ſonderbarer Menſch, aber ein ehr⸗
licher! Und nun, meine Berren, von etwas anderem. Vergeſſen
wir auf eine Stunde die Politik und laſſen wir Witz und Laune
ſein Recht!“ Und nun ging es in fröhlichen, oft gereimten Stegreif⸗
reden hin und her, und Seume zeigte ſich auch hier als der
ſchlagfertige Meiſter. Nach Ciſche trat der Neffe des Generals,
der junge, geiſtreiche Major von Igelſtröm auf Seume zu und
drückte ihm die Hand:
„Sie ſind ein braver, prächtiger Menſch, Seume!“ ſagte er,
und wollte noch mehr hinzufügen, aber der General rief ſeinen
Sekretär in ſein Kabinett. Bier ſprach er:
„Seume, ich wollte, ich hätte ein Dutzend Ihresgleichen. Aber
nun ſagen Sie mir auch, was halten Sie von der Situation d“
„Exzellenz, mir ſcheint ſie ſehr ernſt, denn ich fürchte, daß
eine Volksbewegung in Warſchau losbricht.“
„Eine Revolte meinen Sie d — Wir haben hier 8000 ruſſiſche
Soldaten.“
„Und 4000 polniſche, Exzellenz, und wenn das Volk ſich
bewaffnet; es ſtehen vielleicht 20000 gegen uns.“
„Sie ſehen zu ſchwarz, Seume. Die Stadt iſt im ganzen
ruhig ..“
„Die Stille vor dem Sturme, Exzellenz. Nach meiner un⸗
maßgeblichen Meinung müßten die polniſchen Regimenter ent—
waffnet werden!“
„Das würde erſt zur Revolte reizen. Aber ich will die Ruſſen
vorſchieben, damit die Polen nicht in die innere Stadt kommen.“
Seume zuckte leicht die Achſeln, der General gab ihm die
Rand und entließ ihn. Das war am 5. April geweſen, und in den
nächſten Tagen ſchien alles ruhig zu bleiben. Da brach am 1e.
April eine Abteilung berittener polniſcher Garden noch vor
Sonnenaufgang aus ihrer Uaſerne, überraſchte einen ruſſiſchen
Poſten beim koͤniglichen Palais und vernagelte deſſen Kanonen.
Bald darauf dröhnten vom Arſenale dumpfe Schüſſe und gaben
das Seichen zur allgemeinen Erhebung. In allen Straßen
tauchten, als ob die Erde ſie herauswerfe, bewaffnete Rotten