Full text: Aus Tagen deutscher Not

„Ach und was nützt das Aushalten! Wenn ich über den 
Ozean komme, ſo geht das Elend dort drüben erſt recht an. Not 
und Mühſeligkeit und Mangel iſt die ganze Ausſicht, bis eine 
Kugel uns erlöſt oder ein Indianer uns ſkalpiert! Das habe ich 
mir anders gedacht!“ 
„Nopf hoch, Namerad! Ein braver Verl hält aus in Tätig⸗ 
keit und Pflichterfüllung! Rommt, wir leſen zuſammen im Virgil!“ 
„Ach laßt mich in Frieden — ich tue nichts — gar nichts 
mehr — ich lege mich in meinen Schlafkaſten, jetzt iſt er wenigſtens 
bequemer als bei Nacht!“ 
Er ging, Seume ſah ihm kopfſchüttelnd nach und murmelte: 
„Er wird an ſeiner Faulheit ſterben!“ 
Das ruhige, ſchöne Wetter ſchlug um. Der Sturm ſauſte durch 
das Cakelwerk, die Segel wurden gerefft, und das Schiff wurde von 
den Wellen hin- und hergeſchleudert. Auf dem Verdecke hörte man 
das Rufen und Lärmen der Matroſen. Die andern waren im 
Swiſchendeck zuſammengepfercht und horchten mit erregten Sinnen 
auf das Donnern der Wogen und das Geheul des Windes. Nun 
brach auch die Seekrankheit aus; in allen Bettverſchlägen lagen die 
Kranken. Die fünf Schlafgenoſſen Seumes erkrankten ſämtlich, er 
allein blieb wohl. Wilhelm hatte das Uebel beſonders arg ge— 
packt; er glaubte, er müſſe ſterben. Da bekundete der Freund ihm 
ſo recht ſeine Treue; er beruhigte und richtete ihn auf, gab ihm 
Verhaltungsregeln trotz einem Arzte und freute ſich, wenn der 
andere ihm dankbar und herzlich die Rand drückte. 
Er ſelbſt hatte jetzt den Vorteil, daß er reichlicher zu eſſen 
bekam, weil ihm die Portionen ſeiner Genoſſen zufielen, und ſo 
ſammelte er bald einen hübſchen Vorrat von Schiffszwieback. Da 
das Wetter ſich wieder gebeſſert hatte, ſaß er wieder häufiger auf 
dem Verdeck, wo ihn Dornbuſch ab und zu aufſuchte, um mit ihm 
von Deutſchland zu reden. 
Eines Tages hatten ſie nebeneinander auf einer gBolzbank 
Platz genommen; Seume hatte in den Oden des Boraz geleſen; 
der Schneider ſah mit einer Art bewundernder Ehrfurcht in das 
Buch, das ihm vöͤllig unverſtändlich war. 
„Ihr ſeid wohl eine Art Gelehrter 5 fragte er. 
„Ich hab' einer werden wollen!“ 
„Da muß es Euch doppelt hart ankommen, daß Ihr nun unter 
ſolchem Volke ſeid und die Muskete tragen ſollt!“
	        
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