Full text: Aus Tagen deutscher Not

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machte den Vorſchlag, daß von Seit zu Seit die beiden Flügel⸗ 
männer kommandieren und dann mit einem Male alle die gleiche 
Bewegung des Umkehrens machen ſollten. So ging es leidlich, 
aber man ſchlief nicht viel dabei. Die meiſten waren froh, als 
es endlich Morgen ward. Auf dem Deck entwickelte ſich Bewegung 
und Leben, die Menſchen ſahen befremdet und ergriffen hinaus 
auf das endloſe Waſſer, über dem ein leichtbewölkter Bimmel 
ſich ausſpannte. 
So waren ſie gleichſam herausgehoben aus der Welt und 
bildeten eine ſolche für ſich. Da die See ziemlich ruhig war, 
fühlten ſich alle in den erſten Tagen leidlich wohl. Auf dem 
Verdeck lagerten ſie in Gruppen und erzählten von ihren Erleb⸗ 
niſſen. Manch einer hatte dabei wunderliche Schickſale zu be⸗ 
richten. Da war einer, Namens Dechard, ein ehemaliger fran⸗ 
z6ſiſcher Offizier, der nach dem ſiebenjährigen Kriege erſt gemeiner 
preußiſcher Dragoner, dann Füſilier⸗Anteroffizier geweſen war, 
und ſich dann mit viel Abwechſlung durch die Welt geſchlagen 
hatte, als Fechtmeiſter und Sprachmeiſter, als Spion und polniſcher 
Revolutionshauptmann, der Spißruten gelaufen war, unter dem 
Galgen geſtanden und bei ſeinem abenteuernden Leben ein gut 
Stück Welt geſehen hatte. 
„Was heißt denn Beimat!“ rief er ſpöttiſch. — „Wo's einem 
gut geht, iſt man daheim, und wenn die Engländer anſtändig für 
mich ſorgen, kann ich meine Baut für ſie ebenſo zu Markte tragen, 
wie für den alten preußiſchen Friedrich oder für die Polen.“ 
„Am ehrenvollſten aber bleibt's doch, wenn man es für ſein 
eigen Volk und Land tut!“ warf Seume ein, dem der leichtlebige 
Franzoſe wenig gefiel —, „und für Deutſchland könnt ich freudig 
Blut und Leben geben.“ 
Dechard lachte ſpöttiſch. „Was iſt denn Deutſchland“ — 
„Wo iſt denn Deutſchland? Auf der Landkarte. Davor hat man 
keinen Reſpekt! Ihr ſeid ja keine Deutſchen, ihr ſeid Preußen und 
Sachſen und Bayern, je nachdem die Grenzypfähle gefärbt ſind, und 
die einen wollen nichts von den andern wiſſen.“ 
Seume fühlte, wie die Röte der Scham und des Sorns in ſeine 
Wangen ſtieg. Der Franzoſe hatte ja leider nicht unrecht, aber 
daß er es ſo höhnend in einem Äreiſe von Deutſchen ausſprechen 
konnte, verdroß Seume tief. Erregt ſprach er: „Und wer iſt 
ſchuld, daß es ſo weit gekommen iſtd Ihr Franzoſen, die ihr im
	        
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