Full text: Aus Tagen deutscher Not

Der Adjutant ritt einige Schritte näher und las, und die 
armen Sünder mußten hervortreten aus der Front. 
„Johann Gottfried Seume!“ klang es, und der Gerufene 
geſellte ſich zu den andern Schickſalsgenoſſen. Recht behaglich zu 
Mute war ihm nicht, aber er hatte ein gutes Gewiſſen und war 
froh, daß er dem Rate des alten Schlippe gefolgt war. Der nickte 
ihm auch jetzt vertraulich zu, als ob er ihm ſagen wollte, er möge 
nur guten Mutes ſein. 
Die nicht unanſehnliche Schar wurde nach dem Kaſernen⸗ 
gefängnis abgeführt, die andern kehrten in trüber Stimmung in 
ihre Quartiere zurück. Als ſeine Vameraden den Schneider ſuchten, 
war er nicht da; unter den Eingeſperrten war er gleichfalls 
nicht — ſollte es ihm irgendwie noch geglückt ſein, zu ent⸗ 
wiſchen d 
Nun begann der Prozeß. Swei der Rädelsführer wurden zum 
Galgen verurteilt, und Seume drohte das gleiche. Da war der 
alte Schlippe und Wilhelm für ihn eingetreten, und da man nichts 
Beſtimmtes ihm nachſagen konnte, wurde er freigelaſſen, umſo⸗ 
mehr, als er ſich bisher der Gunſt des Generals erfreut hatte. 
Aber die andern kamen ſchlimm weg. Auf freiem Felde war der 
Galgen errichtet, eine Kompagnie heſſiſcher Jäger dabei auf⸗ 
geſtellt, und dann wurden die Delinquenten herbeigeführt, paar— 
weiſe, gefeſſelt, die zwei Galgenkandidaten voran. Das Geſicht 
der amen Sünder war grau, und ihre Uniee ſchlotterten. Jeder 
ſollte ſeinen beſondern Galgen haben, und bei jedem wartete der 
Henker, die andern Schuldigen aber mußten, einer andern Strafe 
gewärtig, zuſehen. Die beiden Unglücklichen ſtiegen die wenigen 
Stufen nach dem Bochgericht hinauf, ſprachen ihr letztes Gebet 
und fühlten den Strick um den Hals. In dieſem Augenblicke der 
entſetzlichen Todesangſt, da die Suſchauer den Atem anhielten, 
rief eine Stimme: 
„Genug! Seine Durchlaͤucht der Landgraf begnadigt euch und 
verwandelt die Codesſtrafe in ſechsunddreißig Mal Gaſſenlaufen 
und unbeſtimmtes Gefängnis in Eiſen!“ 
Der eine der Begnadigten brach bewußtlos zuſammen, der 
andere aber ſchrie: 
„Ich will keine Gnade — dieſe Gnade iſt grauenhaft — hängt 
mich, laßt mich ſterben, damit es vorbei iſt!“ 
Sein Jammern, ſein Flehen um den Tod war umſonſt. Er
	        
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