Full text: Aus Tagen deutscher Not

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wein des Landgrafen getrunken hat. Sträube Er ſich, wie Er 
will — es kann Ihm alles nicht helfen, Er muß mit uns nach 
der Feſtung Siegenhain geh'n!“ 
„Aber das iſt ja ein ſchmählicher Betrug und eine ganz ver⸗ 
fluchte Binterliſt!“ ſchäumte Seume auf, doch ſtrenge ſagte der 
andere: 
„Laß Er ſolche Redensarten! Er iſt und bleibt unſer Rekrut!“ 
„Ich bin Sachſe und Student der Leipziger Univerſität — 
hier iſt meine akademiſche Beſcheinigung, und ich verlange, frei⸗ 
gelaſſen zu werden. Den Wein, den ich getrunken, will ich be⸗ 
zahlen!“ 
„Laſſe Er ſeinen Wiſch ruhig ſtecken und ſeinen Beutel auch! 
Wenn Er ſich beſchweren will, kann er's in Siegenhain beim 
General Born oder in Uaſſel beim Landgrafen tun. Vorwärts 
jetzt ohne Widerſtand, ſonſt müßten wir Gewalt braͤuchen!“ 
Da auch die beiden andern eine ſehr entſchiedene Baltung 
annahmen, ließ Seume die Abſicht, ſich zu widerſetzen, fallen 
und ſagte nur: 
„Dagegen proteſtiere ich 
„Das kann Er tun, ſoviel Er will!“ rief lachend der Werber 
— „aber nun ohne Umſtände fort! Wir haben noch einige Vögel 
in Gewahrſam, die wir in Siegenhain abliefern wollen, und 
dort trifft Er Geſellſchaft. Ich kann Ihm ſagen, es ſind noch 
beſſere Leute dabei, als Er iſt!“ 
Seume ſchwieg, aber als er an die Tür gekommen, ver⸗ 
langte er noch ſeinen Ranzen und Stock, und der beſtürzte Wirt, 
der ſelbſt nicht gewußt hatte, wer ſeine Gäſte waren, brachte ihm 
beides, und dann ſah er ihm nach, wie er zwiſchen den andern 
durch die Gaſſe ſchritt und murmelte: 
„'s iſt unſer Landesvater, aber eine Schande bleibt's doch 
für das Heſſenland, daß ſo etwas geſchehen kann. Der arme 
Menſch tut mir leid, doch Unſereiner darf ja den Mund dabei 
nicht aufmachen — 's wär' Bochverrat!“ 
Der brave Mann zog ſich in einen Winkel ſeiner Stube zurück 
und ſann über die ſchlimmen Seitläufe nach, in ſtummer Ver⸗ 
biſſenheit aber ging Seume draußen mit ſeinen Begleitern durch 
die Nacht. Noch hoffte er in Siegenhain ſeine Freiheit wieder zu 
erlangen, und war froh, daß man ihm ſeine akademiſche Ein⸗ 
ſchreibung nicht abgenommen hatte. 
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