Full text: Aus Tagen deutscher Not

Kratzmann ſtand wie gebrochen; ſeine Beine ſchlotterten, ſein 
Geſicht war totenbleich; dann ſtürzte er auf die Kniee und ſchrie 
angſtvoll, verzweiflungsvoll: „Gnade, Erbarmen!“ 
Münchhauſen atmete tief, in der Wirtsſtube ward es ſtill; 
endlich ſagte der Offizier: „Was braucht es hier noch ein Kriegs⸗ 
gericht? — Warum ſollen wir den Kerl als Ballaſt weiter— 
ſchleppen? Jeder ehrliche Soldat, jeder brave Deutſche iſt dein 
Richter, und vor Gott und Rönig will ich verantworten, was ich 
tue. Ergreift den Schurken — und hängt ihn an den nächſten 
Baum!“ 
Wie ein Wurm wand ſich der Slende zu Münchhauſens Füßen, 
ſchrie und weinte, aber auf einen Wink des Offiziers ſchleiften die 
Soldaten ihn hinaus, und wenige Minuten ſpäter brachte einer die 
Meldung, daß der Spion an einem Buchenaſt hinter dem Hauſe 
hänge. Münchhauſen aber nahm Abſchied und ritt mit ſeinen 
Leuten, denen ſich der verwundete Buſar angeſchloſſen hatte, in 
die Nacht hinein gegen Jena. 
Vier Tage ſpäter entſchied ſich das Schickſal Preußens; in 
der Doppelſchlacht bei Jena und Auerſtädt wurden ſeine Heere 
bis zur Vernichtung geſchlagen, der Staat Friedrich des Großen 
brach zuſammen. Schmach und Feigheit zeigte ſich an allen Enden; 
wichtige Feſtungen ergaben ſich faſt ohne Schwertſtreich; ver⸗ 
ſprengte Beeresteile ſtreckten die Waffen. Nur wenige Männer 
hielten damals in der nächſten Folge die preußiſche Fahnenehre 
hoch, wie General Blücher und General Courbière, der 
einſtige KBommandant von Emden, der als Befehlshaber der 
Feſtung Graudenz den Franzoſen, die ihn zur Uebergabe auf⸗ 
forderten mit dem Hinweis, daß es keinen Rönig von Preußen 
mehr gäbe, erwiderte: „Nun wohl, ſo bin ich Rönig von Graudenz 
und werde mich als ſolcher verteidigen!“ 
So war eingetroffen, was Seume gefürchtet hatte; ihn ſelbſt 
erſchütterten die Vorgänge auf das tiefſte. Als er von Wilhelm 
und Guſtav, die mit nach Leipzig zurückkehrten, nach einiger Seit 
daſelbſt Abſchied nahm, hatte er Tränen im Auge, Tränen der 
Wehmut und des Sornes über die Schmach und Unfreiheit des 
Vaterlandes und des deutſchen Volkes. 
„Wilhelm“ — ſagte er — „man möchte ſich ſchämen ein 
Deutſcher zu ſein und auch nur ein Wort noch zu ſchreiben in
	        
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