Full text: Aus Tagen deutscher Not

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„Du haſt Mord und Raub und Verrat geübt! — Rerr von 
Münchhauſen, halten Sie den Elenden feſt, damit er nicht wieder 
der Gerechtigkeit entwiſche; ſein Kerbholz iſt voll!“ 
„Lüge, Bosheit, Verleumdung!“ kreiſchte Kratzmann in Angſt 
und Wut, der Offizier aber befahl: „HBerein mit dem Verl in 
die Stube, damit wir ihn näher betrachten!“ 
Die Soldaten führten den Widerſtrebenden in das Gaſt⸗ 
gemach, der immer wieder rief: „Ich bin unſchuldig — alles iſt 
Lüge — laßt mich los!“ 
Jetzt fiel der Lichtſchein ihm voll auf das Geſicht, und in 
dieſem Augenblicke ſchaute auch der verwundete Ruſar, der zu⸗ 
ſammengeſunken auf ſeinem Stuhle ſaß, empor. Mit einem Ruck 
erhob er ſich, trat in heftiger Erregung gegen Kratzmann vor, 
ſah ihm in das fahle Antlitz und rief heftig: 
„Das iſt der Schurke, der uns in den feindlichen Binterhalt 
geführt, der unſern Prinzen auf der Seele hat!“ 
Er ſchlug mit der Fauſt nach dem Geſichte des Elenden, der 
zurücktaumelte und dann mit einem plötzlichen, verzweiflungsvollen 
Entſchluß ſich aufraffte und mit einem Sprunge die Tür erreichte. 
Aber Seume hatte ihn nicht aus den Augen gelaſſen, er ſprang 
eben ſo raſch ihm nach und hielt ihn am Kragen feſt: 
„Diesmal ſollſt du nicht entwiſchen, Schurke!“ rief er wütend, 
und Münchhauſen befahl ſofort: „Durchſucht den Kerl. — Sie 
aber, Freund, berichten Sie, was iſt's mit dem Menſchen d“ 
Wwährend einige Soldaten daran gingen, den verzweiflungsvoll 
um ſich ſchlagenden Kratzmann zu halten und ſeine Kleider einer 
genauen Durchſuchung zu unterziehen, erzählte Seume kurz alles, 
was gegen den Schurken vorlag. Der Seugen für die Wahrheit 
waren genug zugegen an Dornbuſch und HBeiter, der erklärte, 
wie Uratzmann in Emden, nachdem der Weißenburger Taler 
auf ſeine Spur geführt, auch ſein Weib im Stich gelaſſen habe ... 
Da rief einer der Soldaten: „Bier im Stiefel iſt ein Papier!“ 
Münchhauſen nahm es, entfaltete es, dann ſtützte er ſich mit 
der HBand auf den Ciſch und las die Schrift; ſeine Band begann 
zu zittern: 
„Es ſind Angaben über die preußiſchen Stellungen“, rief 
er, „wie ſie nur für die Franzoſen beſtimmt ſein können. — 
Herr im Bimmel, kann es ſoviel Schlechtigkeit in einer Menſchen⸗ 
ſeele geben?“
	        
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