Full text: Aus Tagen deutscher Not

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erbärmlichen Cagen Männer zu finden! — Za, Schnorr, wir 
wollen nicht verzagen!“ 
Er raffte ſich auf, eifriger nur machte er mit ſeinen Schülern 
die Uebungen zur Abhärtung des Rörpers, und ſtets wärmer 
und begeiſterter wurden ſeine Worte. — 
Indeſſen ballten ſich neue Wolken am Bimmel Deutſchlands 
zuſammen. Preußen hatte ſich bis jetzt zurückgehalten in den 
RKämpfen gegen Napoleon, aber deſſen Uebermut verletzte die 
Rechte des Staates Friedrich des Großen immer mehr, bis endlich 
Friedrich Wilhelm III. ſich gezwungen ſah, zum Schwerte zu 
greifen, weil er die empörenden Forderungen des Rorſen nicht 
länger ertragen durfte. 
In den erſten Tagen des Oktober lief die Runde durch Leipzig 
von dem ausbrechenden Kriege, in welchem auch die Sachſen auf 
ſeiten Preußens kämpfen würden. Diesmal kam Schnorr zu Seume, 
um ihm die erſte Kunde zu bringen. Er war ziemlich zuverſichtlich 
und erwartete den Sieg der preußiſchen Waffen, die noch ein 
Friedrich ausgerüſtet hatte. Er war einigermaßen erſtaunt, als 
Seume beinahe wehmütig den Vopf ſchüttelte: 
„Freund — das iſt noch nicht der Anfang der Befreiung! 
Das ganze Deutſchland muß ſich erheben, und die Begeiſterung 
muß die Fahnen vorantragen im Kampfe. Soweit ich Preußen 
heute beurteile, vermag es einem Napoleon nicht die Spitze zu 
bieten. Die einſt ſo treffliche Kriegsverfaſſung hat ſich überlebt. 
Die höhern Offiziere ſind alt und gebrechlich, die jüngeren voll 
Dünkel und ohne Begeiſterung. Die Soldaten ziehen ins Feld 
ohne innern Trieb, bepackt wie Laſttiere, ein ſchwerfälliger, geiſt⸗ 
loſer Baufe, und ſie ſtammen nicht aus den tüchtigſten Klaſſen des 
Volkes, ſondern teilweiſe aus dem Auswurf aller Nationen; ſie 
haben keine Begeiſterung und kein Ehrgefühl, ſtehen unter dem 
Stock, können nicht Offizier werden, und haben auch keinen Führer, 
der ſie fortreißen könnte ...“ 
„Sie ſehen trübe, Freund!“ ſeufzte der Maler, aber Seume 
erwiderte: „Ich wollte gerne, ich täuſchte mich!“ 
Swei Tage ſpäter traf Wilhelm Heiter in Leipzig ein; er 
wollte bei den Kriegsunruhen Guſtav heimholen, da ſein Weib 
um dieſen beſorgt war. Dem ZJüngling brannte Kampfesluſt im 
Herzen, aber Seume ſelbſt hatte ihn zurückgehalten, da er ihn 
noch für zu ſchwach hielt. Doch ſeine Seele war zu erregt, es
	        
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