Mit der großen Armee 1812 nach Moskau 5
Das tapfere Häuflein trat hierauf ruhig ſeinen Rückweg an, nur
ab und zu noch einmal Front machend, um erneuten Beläſtigungen
des Feindes die Stirn zu bieten. Der Kaiſer verlieh ſofort den Tapfer⸗
ſten der endlich glücklich Zurückgelangten den Orden der Ehrenlegion.
Auch die Ruſſen auf den Höhen uns gegenüber waren Zeugen des
heldenmütigen Verhaltens der Anſern und der erfolgloſen Anſtrengungen
ihrer Kavallerie geweſen.
Kurze Zeit nach dieſem kleinen Kriegsſchauſpiel bezogen wir unſern
Lagerplatz. Auf demſelben erhielt ich den Beſuch von zwölf jungen
Burſchen aus meiner Vaterſtadt Condé. Zehn davon waren Tamboure,
einer Tambourmajor und einer Gefreiter bei den Voltigeuren, fämt⸗
lich von ein und demſelben Regiment. zch bezeugte ihnen meine
Freude ſie zu ſehen, bedauerte aber, daß ich ihnen gar nichts vorzuſetzen
hätte. Da meinte der Tambourmajor, deshalb wären ſie auch nicht
gekommen, im Gegenteil, ſie wollten mich einladen zu ihnen herüber
zu kommen und den Abend bei ihnen zu verleben, da ſie den Küchen⸗
wagen eines ruſſiſchen Generals mit Wein und andern ſchönen Stär-
kungen erbeutet hätten. „Wir haben alles“, ſprach er weiter, „auf dem
Marketenderwagen unſerer Florencia untergebracht, einer jungen
Spanierin, die für meine Frau gilt, aber nur in allen Ehren, ſolange
ſie unter meinem Schutz ſteht, bis ſie für ihren Bräutigam, der in Bilbao
von einem eiferſüchtigen Spanier erſtochen wurde, einen andern Mann
gewählt hat. Sie iſt ein hübſches Mädel, gegen das aber keiner wagen
wird ſich etwas herauszunehmen. Alſo Landsmann, es iſt abgemacht,
du gehſt mit uns, komm, wir wollen luſtig ſein.“
Ich zog natürlich mit ihnen und fand in der Spanierin eine wirk⸗
lich ſehr hübſche kleine Perſon, die mich um ſo freundlicher empfing,
als ich durch meinen Aufenthalt in Spanien in ihrer Mutterſprache
mit ihr reden konnte. Wir waren bei dem Wein und andern guten
Sachen des ruſſiſchen Generals ſehr vergnügt und plauderten die ganze
Nacht am Feuer von der Heimat und unſern Erlebniſſen. Erſt der
Kanonenſchuß, welcher den Anbruch des Tages verkündete, machte
unſerm fröhlichen Zuſammenſein ein Ende. Wir trennten uns mit
der Hoffnung auf ein baldiges Wiederſehen. Die armen Zungen! wenn
ſie gewußt hätten, wie nahe ihnen ihr Ende war.
Wir erwarteten für heute eine Schlacht, aber die Ruſſen waren
ſtill abgezogen, und wir rückten in Witebsk ein, woſelbſt wir vierzehn
Tage blieben. Mein Regiment kam in einer Vorſtadt ins Quartier.
Ich erhielt Unterkunft bei einem Fuden, der eine hübſche Frau
und zwei reizende Töchter hatte. In dieſem Hauſe fand ich einen kleinen
Kupferkeſſel zum Bierbrauen, ſowie Gerſte und eine Handmühle zum
Mahlen derſelben, aber der Hopfen fehlte. Ich gab deshalb dem Zuden
zwölf Franken, um ſolchen aus der Amgegend herbeizuſchaffen, be⸗
hielt aber vorſichtigerweiſe, um ſeiner Rückkehr ſicher zu ſein, Frau und
Töchter als Geiſeln zurück. Nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden
war er mit dem Hopfen auch richtig wieder da, und ein Flamländer
in der Kompagnie, der von Beruf Brauer war, braute uns nunmehr
fünf Tonnen vortreffliches Bier.