Full text: Mit der großen Armee 1812 nach Moskau und in der brennenden Stadt

4 SE Frangçois Bourgogne SS 
Die Wolkenmaſſen türmten ſich über unſern Köpfen und entluden ſich 
bald über uns. In wenigen Minuten waren unſere Feuer erloſchen, 
unſere Schutzhütten über den Haufen geworfen und unſere Gewehr- 
pyramiden umgeweht. Tiefe Dunkelheit umgab uns, und keiner wußte 
mehr, wohin ſich wenden. 
Ich rannte, um eine Zuflucht zu ſuchen, querfeldein in der Richtung 
auf ein nahe gelegenes Dorf, welches mich der Schein der Blitze hatte 
erkennen laſſen. Bei einem derſelben glaubte ich plötzlich einen Weg 
zu bemerken, und froh, wenigſtens einigermaßen feſten Boden zu 
gewinnen, laufe ich darauf zu. Im nächſten Augenblick verſchwand 
ich vom Erdboden. Der vermeintliche Weg war ein hoch angeſchwol⸗ 
lener Mühlgraben geweſen. 
Wieder aufgetaucht, ſchwimme ich ans Afer und erreiche endlich 
das Dorf, in deſſen erſtes Haus ich mich einſchleiche. Amhertappend 
finde ich eine Tür, öffne ſie leiſe und bemerke, daß die Stube von einer 
Menge tief ſchlafender und ſchnarchender Kameraden beſetzt iſt. Mich 
weiter taſtend, treffe ich auf einen großen, ſchön warmen Kachelofen, 
um welchen herum, wie ich fühlte, eine Bank lief. Das war, was ich 
brauchte. Ich entledigte mich nunmehr ſofort meiner naſſen Kleider, 
rang mein Hemd und die andern Sachen aus, breitete ſie zum Trocknen 
über die Bank und kauerte mich dann ſelbſt auf derſelben nieder. 
Als der Morgen zu dämmern begann, zog ich mich an und machte 
mich ebenſo leiſe, wie ich gekommen war, wieder davon. Im Lager 
fand ich meine Ausrüſtung in einem wahren Moraſt eingebettet. 
Glücklicherweiſe brachte der Morgen des 50. wieder heiteres Wetter, 
und die Sonne trocknete, nachdem wir den Weitermarſch angetreten 
hatten, alles ſchnell. Wir kamen noch ſelbigen Tages in Wilna, der 
Hauptſtadt Litauens, an, woſelbſt der Kaiſer am Tage vorher mit 
einem Teil der Garde eingetroffen war. 
Hier blieben wir über vierzehn Tage. 
Den 27. Juli trafen wir bei Witebsk auf die Ruſſen und nahmen 
auf einer Anhöhe Stellung, welche die Stadt und Umgebung beherrſchte. 
Der Feind hielt die Höhen rechts und links der Stadt beſetzt. Die Ka⸗ 
vallerie des Königs Murat hatte ſchon mehrere Attacken gemacht. Als 
wir anrückten, ſahen wir gegen zweihundert Voltigeure des 9. Linien⸗ 
Regiments, die ſich zu weit vorgewagt hatten, auf zahlreiche ruſſiſche 
Kavallerie ſtoßen, welche ſoeben zurückgeworfen worden war. 
Wir hielten die Anſern für verloren, da wir, durch den Fluß getrennt, 
ihnen nicht zu Hilfe eilen konnten. Die gut geſchulten, kriegsgewohnten 
Leute, geführt von tüchtigen Offizieren, vereinigten ſich aber noch 
ſchnell genug zum Karree und wieſen unerſchrocken die wiederholten 
Angriffe der feindlichen Reitermaſſen, unter denen ſich auch Lanzen⸗ 
reiter befanden, ab. Bald umgab ein Wall von toten und verwundeten 
Pferden und Menſchen die kleine Schar und bildete für ſie eine Schutz⸗ 
wehr, der gegenüber die Ruſſen endlich alle weiteren Verſuche, das 
Karree zu ſprengen, aufgaben. Sie zogen ſich zurück, in wilder Fagd 
davonreitend, gefolgt von dem Freudengeſchrei all unſerer Truppen, 
die dieſem Kampf von der Höhe aus zugeſehen hatten. 
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