Full text: Mit der großen Armee 1812 nach Moskau und in der brennenden Stadt

Mit der großen Armee 1812 nach Moskau 25 
Als ich zu Mittag aus dem Fenſter blickte, ſah ich, wie ein Sträf⸗ 
ling erſchoſſen wurde. Er ſtarb als mutiger Mann, aufrechtſtehend 
und mit der Hand auf ſeine Bruſt zeigend. Einige Stunden ſpäter fand 
die gleiche Exekution an ſämtlichen Gefangenen ſtatt, die wir mitge⸗ 
bracht hatten. 
Den Reſt des Tages brachte ich ziemlich ruhig zu, d. h. bis ſieben 
Ahr abends, wo der Feldwebel erſchien und mir mitteilte, daß er mich 
in Arreſt bringen ſolle, weil, wie er ſagte, ich zwei meiner Hut anver⸗ 
traute Gefangene hätte entſpringen laſſen. Ich ſuchte mich natürlich 
nach Kräften weiß zu brennen, indeſſen tröſtete ich mich im ſtillen da⸗ 
mit, daß ich zwei Menſchen das Leben gerettet hatte. 
Im Arreſtlokal fand ich ſchon zwei andere Unteroffiziere vor. Das- 
ſelbe lag in einem engen Gang, welcher zur Verbindung mit einem 
Anbau diente, der jedoch zum Teil niedergebrannt war und deshalb nicht 
mehr benützt wurde. Da ich nun einen gewiſſen Unternehmungsgeiſt 
beſitze und vielleicht von Natur etwas neugierig bin, ſo erregte der vom 
Feuer verſchonte Teil des Anbaues ſogleich mein lebhaftes Intereſſe. 
Eingeſchloſſen waren wir nicht, und zu tun hatte ich nichts, ich begab 
mich alſo alsbald auf die Forſchungsreiſe. 
Am Ende des Ganges angekommen, glaubte ich in einem Zimmer, 
deſſen Tür verſchloſſen war, ein Geräuſch zu vernehmen. Ich laͤuſchte 
und hörte ſprechen, aber in einer Sprache, die ich nicht verſtand. Da 
ich wiſſen wollte, wer in dem Zimmer verborgen wäre, klopfte ich. Nie⸗ 
mand antwortete; die tiefſte Stille trat ein. Nun guückte ich durch das 
Schlüſſelloch. Da ſah ich einen Mann auf einem Sofa liegen und 
neben ihm zwei Frauen ſtehen, welche, wie mir ſchien, ſich bemühten 
ihn zum Schweigen zu bewegen. Da ich einige Vorte Polniſch kann, 
was mit dem Ruſſiſchen viel Ahnlichkeit hat, klopfte ich ein zweites Mal 
und bat um Waſſer. Wieder keine Antwort. Als ich nunmehr aber 
meine Bitte wiederholte und dieſelbe mit einem kräftigen Tritt gegen 
die Tür begleitete, wurde mir geöffnet. 
Ich trat alſo ein. Die beiden Frauen flohen in ein Nebenzimmer; 
der Kerl auf dem Sofa jedoch rührte ſich nicht. Sein Anzug und ganzes 
Ausſehen ließen mich ſogleich in ihm einen Sträfling erkennen. In 
dem Gurt, den er trug, ſteckten zwei Piſtolen. Dieſe nahm ich an mich, 
und dann verſetzte ich ihm mit der geballten Fauſt einen feſten Stoß 
in die Seite. Derſelbe genügte, um ihn die Augen aufſchlagen zu laſſen. 
Einen Augenblick ſah er mich ſtier an, dann ſchnellte er plötzlich auf, 
als wollte er mir an den Hals, ſchlug aber in ſeiner ganzen Länge zu 
Boden. Nun richtete ich eine Piſtole auf ihn; demungeachtet ſuchte 
er auf die Beine zu kommen; erſt nach wiederholten Bemühungen 
gelang ihm das. Er war ſo betrunken, daß er ſich kaum aufrecht zu er⸗ 
halten vermochte. Somit hatte ich leichtes Spiel mit ihm. Ich faßte 
ihn am Arm, führte ihn an die Treppe, die ſo ſteil wie eine Leiter war 
und gab ihm einen Stoß. Er rollte hinunter wie ein Faß, bis an die 
Tür der Wache, welche der Treppe gegenüberlag. Einige Mann der 
Wache ergriffen ihn ſogleich und ſchleppten ihn nach einem Raum, der
	        
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