Full text: Lehren der Weisheit und Tugend

Im Dorfe ſchlich er umher und forſchte vermittelſt ſeines 
ſcharfen Geruchs nach den Thieren, deren Fleiſch er am meiſten 
liebte, nach den Schaafen. Er fand bald einen Stall auf, in 
welchem drei Schaafe lagen. Wie aber zu ihnen gelangen? 
Lange ſann er hin und her; endlich gewahrte er eine breite 
Oeffnung über der Thür, ſprang auf eine Bank, welche vor der 
Thür ſtand, ſtreckte ſich aus und ſteckte ſeinen Kopf durch die 
Oeffnung. 
Mit ſeinen ſcharfen Augen ſah er die Schaafe liegen. Steht 
auf, ihr Lieben, rief er ihnen zu mit einer Stimme, die ſo 
ſanft klang, als nur ein Wolf ſeine rauhe Stimme ſanft machen 
kann, ſtehet auf, meine Freunde, bald wird der Tag anbrechen 
und die grüne Weide wartet eurer! 
Die Schaafe ſtanden auf und näherten ſich der Thür. 
Gut ſo, meine Freunde, ſagte der Wolf weiter, nun ſchiebt 
doch den Riegel von der Thür, daß ich zu euch kommen und 
mich mit euch unterhalten kann. Schnell laßt mich ein, ich 
weiß viel zu erzählen — 
Wer biſt du denn? ſprach ein Schaaf. 
O kennſt du mich nicht? ich bin ja der Vetter eures 
treuen Freundes, des Handes, der euch auf die Weide geleitet, 
damit der böſe Wolf euch nicht freſſe. 
Aber deine Augen funkeln ſo ſehr, ſprach ein anderes Schaaf. 
Und deine Zunge iſt ſo lang und ſo roth und deine Klauen 
ſo blutig, ſprach das dritte — — 
Du biſt der Wolf! rief das älteſte Schaaf aus, ich kenne 
dich wohl, wir laſſen dich nicht in unſern Stall! — 
Das war ein Glück für die Schaafe, daß ſie ſich nicht be— 
thöͤren ließen. Der Wolf verſuchte einzudringen, aber es gelang 
ihm nicht und da der Morgen grauete, auch die Hunde zu bellen 
anfingen, ſchlich er ſich hinweg und lief wieder in den tiefen, 
düſtern Wald hinein. 
Die Aepfeldiebe. 
Eine Frau ging in ein Haus, um eine Beſtellung auszu— 
richten und ſtellte einen Korb mit Aepfeln an die Seite des 
Hauſes. Das ſahen zwei Knaben, eilten herbei und ſtahlen
	        
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