30
und von ſchönen, alten Bäumen beſchattet. Unter dieſe Bäume baute ſich
der Mann eine Hütte von Brettern, hing an den Baum ein Kruzifix, in
der Kammer ſein altes Schwert auf und umzäunte den ganzen Platz, da
mit keine wilden Thiere hereinbrächen.
Und wirklich erbarmte ſich der harte Fels ſeiner mehr, als die Men
ſchen gethan. Aus ſeinen Spalten ließ er ihm eine klare Quelle fließen,
auf den Bäumen wuchſen Aepfel und Birnen und die Erde trug nahrhafte
Kräuter, Beeren und Wurzeln.
Davon nährte ſich der Einſiedler und führte dort oben ein ſtilles, in
ſich gekehrtes Leben, das ihm auch allmälig manchen Genuß gewährte.
Die Zeit ward ihm, trotz der Einſamkeit, niemals lang. Er betete und
las in ſeinem Buche, er baute ſich ein Gärtchen an und bepflanzte es mit
Blumen und Bäumenz; er beobachtete den Lauf der Sonne und des Mon
des, der Sterne und der Wolken. Das gab ihm Stoff zu vielen Betrach
tungen, aber auch die Erinnerung an Weib und Kind verkürzte ihm manche
Stunden.
Von dem Walde da unten ging allgemein das Gerede, er ſei ver
zaubert; deshalb fürchteten ſich die Leute der Umgegend, ihn zu betreten.
Aber der Einſiedler hatte nie gewußt was Furcht ſei und dachte: „Schlimmer
kann mir's darin doch nicht ergehen, als es mir in meinem Dorfe geſchah.“
Weil es nun in dem Walde gar herrlich war, pflegte er oft Tage lang
darin umherzuwandern, ohne daß ihm jemals etwas Böſes zugeſtoßen wäre.
Im Gegentheil, er genoß dort großer Freuden. Der ganze Wald
war voller Thiere: Hirſche, Haſen, Kaninchen und manche andere; die
waren zahm und freundlich und ſtatt ihn zu fliehen, näherten ſie ſich ihm
und ſahen ihn oft ſo bedeutſam an, als hätten ſie ihm etwas Wichtiges
zu erzählen.
Einmal kam ihm auch ein weißes Reh entgegen, mit ſchlankem und
edlem Wuchſe und klugen, freundlichen Augen. Kaum erblickte es den