Die Waſſerflut am Rheine.
1. Eine Schreckensnacht.
Vor etwa hundert Jahren lebte in einem freundlichen
Dörflein am Rheine der Weingärtner Martin Braun. Er
war ein gottesfürchtiger, rechtſchaffener und ſehr arbeit
ſamer Mann; ebenſo fromm, tugendhaft und fleißig war
ſeine Hausfrau Ottilie.
Martins Haus, das äußerſte des Dorfes, e zu
nächſt an dem Fluſſe. Der thät tige Mann hatte den Abhang
eines ſteilen, felſigen Hügels, der eine Strecke weit 31
die Wellen des Stromes hinein reichte, von unten bis
oben mit Weinſtöcken bepflanzt, die ſehr köſtliche Trauben
trugen; Ottilie benützte die ſchöne Wieſe am Hauſe, die
ſich längs dem Rheine hinzog, an den übrigen drei Seiten
aber von einer grünen Hecke und ſchattigen Erlen und
Pappeln begrenzt war, zu einer Bleiche, und durch ihren
Fleiß und ihre Aufmerkſamkeit wurde die Leinwand ſo
blütenweiß, daß alle Hausmütter im Dorfe und in den
beuachbarten Ortſchaften ihre Leinwand von ihr gebleicht
haben wollten. So erwarb das wackere Ehepaar das täg
liche Brot und den nötigen Lebensunterhalt. Ueberdies
lieferte die Wieſe ſo viel Futter, ein paar Kühe davon
zu halten. Ein großer dunkelbrauner Pudel bewachte den
Frühling und Sommer hindurch die Bleiche; im Herbſte,
wenn die Trauben reiften, den Weinberg, und das ganze
Jahr hindurch, beſonders aber in den langen Winter
nächten, Haus und Hof.