Full text: Die Wasserflut am Rheine. Das stumme Kind. Die Kirschen. Die Margaretenblümchen. Der Kuchen

ſollten, auch nur ein Biſſen Brot und ein Trunk Waſſer! 
Er trat in das Zimmer, lehnte den Säbel in eine Ecke, 
ſetzte ſich und wiſchte mit einem weißen Tuche das glühende 
Angeſicht. Dieſes Mal ging es ſcharf her, ſagte er; doch 
Gott ſei gelobt, wir haben geſiegt. 
Ein Engel des Himmels hätte der Mutter und Tochter 
keine erfreulichere Erſcheinung ſein können. Die Mutter 
hatte noch einige Flaſchen alten Rheinwein im Keller 
tief unter dem Sande verborgen, in dem das Wintergemüſe 
aufbewahrt geweſen, von dem hie und da noch ein Blatt 
zu ſehen war. Der Feind hatte dieſen Wein nicht entdeckt. 
Sie brachte eine Flaſche Wein und ein Stück Roggenbrot 
dazu. Sie entſchuldigte ſich, daß von Speiſen ſonſt nichts 
mehr vorrätig ſei. Das iſt genug, ſagte der Ofſizier, indem 
er nach dem Brot griff und ſogleich davon aß; das ſchmeckt! 
Es iſt der erſte Biſſen, den ich heute genieße. 
Karoline ging und brachte von ihrem Bäumchen auf 
einem reinen weißen Porzellanteller die ſchönſten hoch— 
roten Kirſchen. Kirſchen? rief der Offizier; die ſind gegen— 
wärtig hier zu Lande eine Seltenheit. Es iſt ein Wunder, 
daß ſie der Feind ſchonte. Es ſind ja alle Bäume umher 
abgeleert. 
Die Kirſchen, ſagte die Mutter, wuchſen auf einem 
niederen Bäumchen, das in Karolinens Blumengärtchen 
ſteht und an ihrem Geburtstage gepflanzt wurde. Sie ſind 
erſt ſeit einem oder zwei Tagen reif geworden. Der Feind 
mag auf das kleine Bäumchen nicht geachtet haben. 
Und dieſe Kirſchen tragen Sie mir auf, holde Kleine? 
ſagte der Offizier erfreut. O nicht doch; ſie ſind für Sie. 
Es wäre Sünde, Ihnen nur eine einzige zu nehmen. 
Wie könnten wir, ſagte Karoline, den edlen Männern, 
die ihr Blut für uns vergießen, einige Kirſchen verſagen? 
und die hellen Thränen ſtanden ihr in den freundlichen,
	        
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