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Jakob legte, ehe er die Augenlider zufallen ließ,
die kalten Hände zuſammen und ſprach laut das Vater⸗
unſer und ein Abendgebet, ein Verschen, das er auch von
ſeiner Mutter her behalten hatte. Nie war er ohne
dieſe beiden eingeſchlafen. Er hätte es nicht gekonnt. Sie
verbanden ihn mit ihr und waren wie weiche Kiſſen,
auf denen er ſein Herz zur Ruhe bettete. Manchmal
hatte er Spott und Hohn geerntet, wenn er laut betete.
Dadurch war es ihm um ſo lieber geworden, wie uns
alles an Wert wächſt, was uns etwas koſtet oder wofür
wir unſchuldig leiden. Hier brauchte er ſich auch nicht
zu fürchten. Anna hörte erſtaunt zu. Die Gebete ſelbſt,
wie die Innigkeit, mit der er ſie betete, rührten ſie. Der⸗
gleichen war ihr neu. Aber ſie merkte, daß es etwas
Gutes war und dachte bei ſich: „Jetzt weiß ich, wes⸗
halb er nicht ſtehlen mag.“
V.
Ein erwartungsvoller Tag.
Weder Jakob noch Anna konnten leſen. Sie waren
daher recht traurig, als ſie am nächſten Morgen, nach⸗
dem ſie von nichts als von Thee „und was dazu“ ge—
träumt hatten, mit ihren Einladungskarten nichts an⸗
zufangen wußten. Der Mangel an Schulkenntniſſen hatte
ſie bisher nicht bedrückt. Jetzt waren ſie deſto mehr ge⸗
ſchlagen im Gefühl ihrer Unwiſſenheit. Mit geſenktem
Köpſchen und verlegenem Geſicht ſchlichen ſie umher.
Wenn der gute Herr nur geſagt hätte, wo er das Feſt