Full text: Der Sohn des Millionärs

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nur ſieht. Aber er beſteht doch auf ſeinem Kopf. Wenn 
ich ihm einen andern Sinn beibringen könnte, hätte er's 
viel beſſer, und das Leben bei uns würde ihm leidlich 
gefallen. Weshalb er auch ſo trotzköpfig iſt? Ich glaube, 
ſie werfen ihn noch einmal ins Waſſer, wenn er nicht 
anders wird.“ 
Anna war ein gutherziges, aber in ſchlimmer Luft auf⸗ 
gewachſenes Mädchen. Sie gehörte zu den unglücklichen Kin⸗ 
dern in London, die von Vater und Mutter, von Heim und 
Erziehung, von Schule und Kirche nichts wiſſen. Wenn 
ihr ſie gefragt hättet, ob ſie Geſchwiſter habe oder ob 
Vater und Mutter geſtorben ſeien, ſo würde ſie ein ver⸗ 
wundertes Geſicht gemacht haben. Die Alte, bei der ſie 
war, hatte das Kind irgendwo aufgegriffen und als einen 
Fund, aus dem ſie Nutzen ziehen konnte, an ſich genommen. 
Die Kleine, die bald ſtehlend umherſchweifen, bald der 
„Großmutter“ zurhand gehen mußte, befand ſich beſſer 
dabei, als wenn ſie wie ein verſcheuchtes Vöglein keine 
Stätte vor den Unbilden der Witterung gehabt hätte. 
Von Liebe freilich ſpürte ſie kaum mehr als ehemals. 
Aber in jeder Menſchenbruſt ſchlummert ein Liebes⸗ 
junke, der geweckt ſein will und gar leicht geweckt wird. 
Seitdem Jakob da war, fühlte Anna eine Art ſchweſter⸗ 
licher Zuneigung zu dem kleinen Burſchen, deſſen jammer⸗ 
volle Lage dieſe Empfindung verſtärkte. Dem klugen, 
flinken Mädchen, das ſich der Alten und der ganzen 
ſchlimmen Sippſchaft bei ihr unentbehrlich zu machen 
wußte, ward es leicht, ihre Hand über den armen, übel 
behandelten Jungen zu halten. Er hatte es ihr zu 
danken, daß die ſchlimmſten Drohungen bei Worten blieben, 
wenn auch wenige Tage ohne Püffe und Schläge vergingen. 
Das war ſehr ſchwer für Jakob, der ganz andere,
	        
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