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Mutter ſchrak zuſammen; denn vor ihr ſtand ihr geſtor—
benes Kind. Das war ein ſeliges Englein geworden und
lächelte ſüß wie die Unſchuld und gar ſchön anzuſehen.
Und es trug in ſeinen Händchen ein Krüglein, das war
ſchon ganz voll. Und das Kind ſprach: „O liebe Mutter,
weine nicht mehr um mich! Siehe, in dieſem Krüglein
ſind deine Thränen, die du um mich vergoſſen haſt; der
Engel der Trauer hat ſie in dieſes Gefäß geſammelt.
Wenn du noch eine Thräne um mich weineſt, ſo wird
das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe
haben im Grabe und keine Seligkeit im HDimmel. Darum,
o lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind; denn
ich bin glücklich und darf mit den Engeln ſpielen, und
es iſt im Himmel viel ſchöner, als hier auf der Erde.
Wir haben da immer Freude und niemals ein Leid.“
Damit verſchwand das todte Kind, und die Mutter weinte
von nun an keine Thräne mehr, denn ſie wollte die Grabes—
ruhe und den Himmelsfrieden ihres lieben Kindes nicht
ſtören. „Es iſt ja glücklich,“ dachte ſie, „viel glück⸗
licher, als wenn es noch hier am Leben wäre, und bald
komme ich ja zu ihm.“ Lange dauerte es auch nicht
mehr, da wurde die Mutter krank und ſtarb, und ſie
fand im Himmel ihr Kind wieder.
8S4. Der Arme.
Verſchmäh' den Armen nicht,
Er ſei auch noch ſo klein;
Er iſt ein Menſch wie du.
Was braucht er mehr zu ſein?
Gott macht uns arm, Gott macht uns reich,
Und vor ihm ſind wir Alle gleich.
85. Der Arme.
Ein Vater ging einmal an einem ſchönen Frühlings⸗
tage mit ſeinen drei Kindern hinaus, um ihnen eine Freude
zu machen. Sie wollten nach dem Walde gehen und
Heidelbeeren pflücken und die muntern Vögel ſingen hören.