Full text: Kinderlust

Da wurde das Bäumchen wieder traurig und klagte: 
„Hätt' ich doch Blätter von weißem Zucker!“ — Die hat 
es auch in der Nacht bekommen, und nun war es ſo weiß 
wie Schnee. Aber Nachmittags ſind die Kinder aus der 
ganzen Schule in den Wald gelaufen und haben das 
Bäumchen ganz leer gegeſſen, daß auch kein Blatt mehr 
daran blieb. 
Da trauerte das Bäumchen und dachte: „Wie dumm 
bin ich geweſen! Hätte ich nur meine Nadeln wieder!“ 
Und in der Nacht bekam es ſeine Nadeln wieder, 
und es iſt zufrieden geblieben bis auf den heutigen Tag. 
533. Vom Bäumlein, das ſpazieren ging. 
Ein Bäumchen ſtand im Walde an einem guten 
Plätzchen. Aber um das Bäumchen herum ſtanden viele 
Sträucher, Dornen und Brombeeren und andere, die 
wurden alle Jahre größer und drängten das Bäumchen, 
daß ihm der Platz zu enge wurde. Es mußte ſich bücken 
und zuſammendrücken, und das gefiel ihm ſchlecht. 
„Hier will ich nicht mehr ſtehen,“ ſagte das Bäum— 
chen, „ich will mir einen andern Platz ſuchen, wo es mir 
beſſer gefällt. Bei Birken und Buchen und Tannen und 
Eichen mag ich ſo nicht mehr bleiben, die ſind ſo ſtumm 
und ſo ſtill und ſagen mir den ganzen Tag nichts.“ 
So ſagte es, hob ſich auf, zog ſeine Füße aus dem 
Boden und ging fort und kam in eine Wieſe, wo noch 
nie ein Baum geſtanden hatte. „Hah, hier iſt es ſchön!“ 
ſagte es und ſteckte ſeine Füße wieder in den Boden; 
nun habe ich Platz und kann weit in die Welt hinein⸗ 
ſehen.“ Ein kleines Brünnlein gab ihm zu trinken, wenn 
es Durſt hatte, und wenn es ihm kalt wurde, machte der 
ſchöne Sonnenſchein es wieder warm. 
Und wenn es ihm zu heiß wurde, kam ein ſanfter 
Wind und kühlte es ab und trocknete ihm den Schweiß ab. 
Aber es blieb nicht immer Sommer und ſo ſchön 
auf der Wieſe. Es kam der Herbſt und nahm ihm alle 
Blätter weg, bis das Bäumchen gar keins mehr hatte
	        
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