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A6. Das Würmchen.
Keinem Würmlein thu' ein Leid!
Sieh', in ſeinem ſchlichten Kleid
Hat's doch Gott im Himmel gern,
Sieht ſo freundlich d'rauf von fern.
Führt es zu dem Grashalm hin,
Daß es ißt nach ſeinem Sinn;
Zeigt den Tropfen Thau ihm an,
Daß es ſatt ſich trinken kann;
Gibt ihm Luſt und Freudigkeit.
Liebes Kind, thu' ihm kein Leid!
47. Das Marienwürmchen.
Es iſt ſchon viele, viele Jahre her, da lebten in
Pommerland ein Mann und eine Frau, die hatten ein
Töchterlein, und das hieß Mariechen. Der Mann mußte
in den Krieg ziehen, und die Mutter blieb mit dem Töch—
terchen zu Hauſe. Sie waren arm und mußten ſich küm⸗
merlich behelfen und litten manchmal Hunger, wenn nicht
ein Stücklein Brod mehr im Hauſe war. Da wurde die
Mutter krank und ſtarb, und das kleine Mariechen ſtand
drei Tage lang bei der Leiche der Mutter und weinte ſich
die Augen roth und wünſchte auch zu ſterben und mit
der Mutter im Himmel zu ſein. Als die Mutter begra—
ben war, ging die kleine Maria nach einem Kapellchen,
worin das Bild der Muttergottes mit dem Jeſukindlein
auf den Armen ſtand.
Mariechen kniete vor dem Bilde nieder und faltete
die Händchen und betete: „Liebe Muttergottes im Himmel,
ich habe keine Mutter mehr, und mein Vater iſt im
Kriege, und ich weiß nicht, wo der Krieg iſt und kann
den Vater nicht finden. Hilf du mir meinen Vater
ſuchen!“
Da wurde es ganz helle in der Kapelle, und die
lebende Mutter Gottes aus dem Himmel ſtand vor dem
Kinde und lächelte und reichte ihm die Hand und ſprach:
„Du kannſt ſoweit nicht laufen, bis zu deinem Vater,