Full text: Volksmärchen der Deutschen

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und machte damit Verſuche, ihnen allerlei Geſtalten zu geben, 
dem Anſchein nach ſich damit zu beluſtigen; aber ihre Ab 
ſicht ging weiter. Sie ließ eines Tages eine Rübe zur 
Biene werden, um ſie abzuſchicken, Kundſchaft von ihrem 
Geliebten einzuziehen. „Flieg', liebes Bienchen,“ ſprach ſie, 
⸗zu Ratibor, dem Fürſten des Landes, und ſumſe ihm ins 
Ohr, daß Emma noch für ihn lebt, aber eine Sklavin iſt 
des Fürſten der Gnomen, der das Gebirge bewohnet; ver⸗ 
lier' kein Wort und bring' mir Botſchaft von ſeiner Liebe.“ 
Die Biene flog alsbald, wohin ſie beordert war; aber kaum 
hatte ſie ihren Flug begonnen, ſo ſtach eine gierige Schwalbe 
auf ſie herab und verſchlang die Botſchafterin der Liebe. Darauf 
formte Emma vermöge des wunderbaren Stabes eine Grille, 
lehrte ihr gleichen Spruch und Gruß. „Hüpfe, kleine Grille, 
über das Gebirge zu Ratibor, dem Fürſten des Landes, und 
zirpe ihm ins Ohr, die getreue Emma begehre Entledigung 
hrer Banden durch ſeinen ſtarken Arm.“ Die Grille flog 
o ſchnell, als ſie konnte, auszurichten, was ihr befohlen 
war; aber ein Storch promenierte eben an dem Wege, erfaßte 
ſie mit ſeinem langen Schnabel und fraß ſie auf. 
Dieſe Verſuche ſchreckten Emma nicht ab, einen neuen 
zu wagen; ſie gab der dritten Rübe die Geſtalt einer Elſter. 
„Schwanke hin, beredſamer Vogel,“ ſprach ſie, „von Baum 
zu Baum, bis du gelangeſt zu Ratibor, ſag' ihm an meine 
Geſfangenſchaft und gieb ihm Beſcheid, daß er meiner harre 
mit Roß und Mann, den dritten Tag von heute, an der 
Grenze des Gebirges im Maienthale.“ Die zwiefarbige 
Elſter gehorchte, flatterte von einem Ruheplatze zum andern, 
und Emma begleitete ihren Flug, ſoweit das Auge trug. 
Der harmloſe Ratibor irrte noch immer melancholiſch in den 
Wäldern herum; die Rückkehr des Lenzes und die wieder⸗ 
auflebende Natur hatten ſeinen Kummer nur gemehrt. Er 
ſaß unter einer Eiche, dachte an ſeine Prinzeſſin und ſeufzte 
laut: „Emma!“ Alsbald gab das Echo ihm dieſen geliebten 
Namen zurück; aber zugleich rief auch eine unbekannte Stimme 
den ſein igen aus. Er horchte auf, ſah niemand, wähnte eine 
Täuſchung und hörte den nämlichen Ruf wiederholen. Kurz 
darauf erblickte er eine Elſter, die auf den Zweigen hin und 
wieder flog und ward inne, daß der gelehrige Vogel ihn beim
	        
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