Full text: Volksmärchen der Deutschen

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Obſtbäume trugen purpurrote, mit Gold geſprenkelte oder 
zur Hälfte übergüldete Aepfel. Das Gebüſch war mit Sing⸗ 
pögeln angefüllt, die ihre hundertſtimmigen Lieder ſangen. 
In den traulichen Bogengängen des Gartens luſtwandelte 
das junge Paar. 
Aber trotz des Glanzes und der Pracht, welche ſie um⸗ 
gab, konnte Emma nicht ganz froh werden. Der Gnome 
machte gar bald dieſe Entdeckung und beſtrebte ſich, durch 
tauſend Liebkoſungen die Schöne aufzuheitern; wiewohl ver⸗ 
gebens. Der Menſch, dachte er bei ſich ſelbſt, iſt ein geſelliges 
Tier wie die Biene und die Ameiſe; der ſchönen Sterblichen 
gebrichts an Unterhaltung. Flugs ging er hinaus ins Feld, 
zog auf einem Acker ein Dutzend Rüben aus, legte ſie in 
einen zierlich geflochtenen Deckelkorb und brachte dieſen der 
ſchönen Emma, die melancholiſch einſam in der beſchatteten 
Laube eine Roſe entblätterte. „Schönſte der Erdentöchter,“ 
redete er ſie an, „verbanne allen Trübſinn aus deiner Seele, 
und öffne dein Herz der Freude; du ſollſt nicht mehr die 
Einſamtrauernde in meiner Wohnung ſein. In dieſem Korbe 
iſt alles, was du bedarfſt, dieſen Aufenthalt dir angenehm 
zu machen. Nimm den kleinen buntgeſchälten Stab und gieb 
durch die Berührung mit demſelben den Erdgewächſen im 
Korbe die Geſtalten, welche dir gefallen.“ 
Hierauf verließ er die Prinzeſſin, und ſie weilte keinen 
Augenblick, mit dem Zauberſtabe nach ſeiner Angabe zu ver⸗ 
fahren. „Brinhild,“ rief ſie, „liebe Brinhild, erſcheine!“ 
Und Brinhild lag zu ihren Füßen, umfaßte die Kniee ihrer 
Gebieterin und benetzte ihren Schoß mit Freudenzähren, lieb⸗ 
koſte ſie freundlich, wie ſie ſonſt zu thun pflegte. Die Täu⸗ 
ſchung war ſo vollkommen, daß Fräulein Emma ſelbſt nicht 
wußte, wie ſie mit ihrer Schöpfung dran war: ob ſie die 
wahre Brinhild hergezaubert hatte, oder ob ein Blendwerk 
das Auge betrog. Sie überließ ſich indeſſen ganz den Em⸗ 
pfindungen der Freude, ihre liebſte Geſpielin um ſich zu haben, 
luſtwandelte mit ihr im Garten, ließ ſie deſſen herrliche An⸗ 
lagen bewundern und pflückte ihr goldgeſprenkelte Aepfel von 
den Bäumen. Hierauf führte ſie ihre Freundin durch alle 
Zimmer bis in die Kleiderkammer, wo ſie bis zu Sonnen⸗ 
untergang verweilten. Alle Schleier, Gürtel, Ohrenſpangen
	        
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