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und ihre natürliche Begabung hatte für das, was ſie
wußte und konnte, mehr gethan, als der Unterricht des
guten Fräulein Delf. Die vielen Fragen, die unruhige
Wißbegierde des Kindes hatten die ältliche Dame oft be—
läſtigt und in Verlegenheit geſetzt und doch war es dieſe
geiſtige Regſamkeit, durch die Roſy mit großer Leichtig⸗
keit lernte.
Mit lebhaftem Sinn für alles Schöne war ſie, wie
es den Anſchein hatte, auch künſtleriſch begabt; ſie zeichnete
nach der Natur mit überraſchendem Talent, ſie ſang und
ſpielte nach dem Gehör Melodien, die ihr gefallen hatten,
aber zum ſyſtematiſchen Erlernen und Uben der Grund⸗
regeln der Kunſt hatte ſie keine Luſt.
Ihr Weſen war ein beſtändiges Aufflammen und Er⸗
kalten, ein Wechſel zwiſchen Heftigkeit und Apathie, wo—
durch ſie Fräulein Delf ſowohl, wie ihren Oheim vielfach
ermüdet und geſtört hatte. Freilich hatten beide wenig
Sympathie gezeigt; das Irrlichtartige in Roſys Art war
ihnen wenig verſtändlich und ſehr unbequem; das Entzücken,
mit dem ſie über einem Buch ſaß und nicht davon los⸗
kommend, anderes über dem Leſen verſäumte, die Beharr⸗
lichkeit, mit der ſie unter tauſend vergeblichen Tönen und
Diſſonanzen eine Melodie, die ihr vorſchwebte, auf dem
Piano zu finden ſuchte, das wurde häufig als Über⸗
treibung und Unart geſcholten, Roſy fühlte ſich gekränkt,
unterließ die angefochtenen Beſtrebungen und verſank in
apathiſche Trägheit! —
Jetzt war das anders.
Jutta intereſſierte ſich für das talentvolle, eigenartige
Kind vom erſten Tage an, vielleicht um ſo mehr, weil
Cron, Des Herzens Heimat. 6