6
ger; eine Stunde nach der andern verſtrich, und ſie ka⸗
ö men nicht. Endlich pochte Jemand an die Thuͤr, und ehe
+* ſie geoͤffnet war, ſchrieen ſie ſchon: „Da kommen ſie!Cꝰ
W Faſt eine Minute waͤhrte es, bis der alte Angus den
Muth hatte, aufzuthun.
Wi Kaum wurden ſie ſeiner anſichtig, kaum blickten ſie
in ſein verſtoͤrtes und trauriges Geſicht, ſo ergriff ſie ein
ſchreckliches Gefuͤhl und eine ſchlimme Ahnung.
„Kenneth!“ riefen beide zugleich.
„Die Linn — verloren“ — ſtammelte Angus heraus. 2
Da ſaß nun die ungluͤckliche Familie bei dem erſter—
benden Feuer die lange, traurige Nacht hindurch; kein
Schlaf kam in ihre Augen, kein Troſt in ihre Herzen. Fruͤh
verbreitete ſich die Nachricht im Dorfe, und Freunde und
Nachbarn ſammelten ſich um Angus, den Leichnam ſei—
nes Sohnes zu ſuchen.
Mit Seilen und Stricken verſehen begab man ſich
an die Stelle, wo das Ungluͤck geſchehen war, und ein
ruͤſtiger Mann legte ſich auf die Erde, um genau in den
Abgrund hineinſehen zu koͤnnen. Ploͤtzlich ſchrie er: „Him—
mel! da iſt er!“ — „Wer?“ — „Kenneth — er ſelbſt!“
In der That war dieſer durch die Aeſte von drei
oder vier Eſchen gefallen, welche aus einer Spalte des
Felſens herausgewachſen waren, und hatte ſich da feſt
halten koͤnnen. Er hing zwiſchen Himmel und Erde an
den biegſamen Aeſten und wurde vom Winde hin- und
hergeſchaukelt, der ihn bei jedem Stoß uͤber den fuͤrch—
terlichen Abgrund hinaustrieb. Er ſchrie beſtaͤndig, ſo
ſtark er konnte; aber Niemand hoͤrte ihn, ſo daß er end—
lich ſchwieg und ſich vornahm, ſo lange feſtzuhalten, als
die Kraͤfte ſeiner Haͤnde und ſeine Beſinnung dauern
wuͤrden.