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Der Hund und das Schaf.
Ein Hund brachte bei Gericht vor, er habe dem Schaf
einiges Brot geliehen. Das Schaf konnte dies nicht zugeſtehn,
weil es erlogen war. Der Kläger aber berief ſich auf drei
Zeugen, die man vernehmen müſſe, und brachte dieſelben
herbei. Der erſte dieſer Zeugen, der Wolf, behauptete, er wiſſe
gewiß, daß der Hund dem Schaf Brot geliehen habe; der
zweite, der Habicht, ſagte, er ſei dabei geweſen; der dritte, der
Geier, hieß das Schaf einen unverſchämten Lügner. So verlor
das Schaf den Prozeß, mußte alle Koſten tragen und zur Be—
zahlung des Hundes die Wolle von ſeinem Rücken hergeben.
Wenn ſich Kläger, Richter und Zeugen wider jemand
vereinigt haben, ſo hilft die Anſchuld nichts.
M
Der Magen und die Füße.
Zu der Zeit, als an dem menſchlichen Leibe nicht alles über—
einſtimmend dachte und handelte und jedes einzelne Glied ſelbſt
nachdenken und ſeine Meinung frei ſagen konnte, beſchwertenſich
Hände, Mund und Zähne, ſie hätten nichts zu tun, als immer
nur für den Magen zu ſorgen und zu arbeiten, während er
ganz ſorglos nur auf neue Genüſſe ſinne und ihren Kraft—
aufwand undankbar verzehre. Sie kündigten ihm alſo den
Dienſt. Die Hände, ſo kamen ſie miteinander überein, ſollten dem
Mund keine Speiſen mehr zuführen, der Mund ſollte ſie nicht
Aſops Fabeln. 6