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bis an den Morgen. Als nun der herannahte und die
Sonne ihre Strahlen über das Gebirge zu ſtrecken be—
gann, erwachte Florigunde zuerſt, ſtand auf, ſchmückte
ſich, betete und dankte Gott, und als ſie ſah, daß der
Ritter noch ruhig ſchlief, ſetzte ſie ſich abſeits von ihm,
und ſang einen gar lieblichen Morgenpſalm. Von ih—
rem Singen erwachte der Ritter, und obwohl er ſich
ein gutes Recht auf lange Nachtruhe erworben hatte,
ſo ſchämte er ſich doch, ſo lang geſchlafen zu haben; er
legte daher eilig ſeine Rüſtung an und gieng, die Jung—
frau in Züchten zu grüßen. Bald ſtellte ſich auch der
Zwergenkönig ein und fragte ſeine Gäſte freundlich, wie
ſie geſchlafen hätten? Dann bat er ſie recht dringend,
doch länger bei ihm verweilen zu wollen. Aber Sieg—
fried hatte keine Ruhe mehr, ſondern bat um Urlaub.
Sogleich ließ der Zwerg ein Frühſtück bereiten und nach⸗
dem ſie ſich ein wenig mit Speiſe geſtärkt hatten, nahm
Siegfried höflichen Abſchied vom König Egwald und
ſeinen Brüdern. Die aber erwiederten den Abſchied nicht,
ſondern um ihr dankbares Gemüth zu beweiſen, erklär—
ten ſie ſich bereit, ihrer hundert den edlen Gäſten das
Geleite nach Worms zu geben, damit ihnen unterwegs
kein Unfall zuſtieße. Aber Siegfried nahm keines
andern Zwerges Begleitung an, denn allein des Königs
Egwald. Dieſer ſetzte ſich auf ſein prächtiges Pferd
und ritt vor ihnen her. Wie ſie nun ſo des Weges
ritten, da ſagte Siegfried zu dem Zwerge: „Ich habe
auf dem Drachenſtein geſehen, daß Du auch in der
Sternkunde wohl erfahren biſt! So bitte ich denn,
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