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denn über ihre Gefühle in letzter Zeit war ſie in vollkom⸗
mener Selbſttäuſchung geweſen. Das Schreiben enthielt
eine äußerſt kalt und förmlich abgefaßte Einladung der
Lady Anna an das Fräulein zu einem zweitägigen Be⸗
ſuche in der Priory; es begann mit folgenden Worten:
„Lady Anna Torconnel empfiehlt ſich dem Fräulein So—
werby.“ — — Die Zwiſchenzeit hatte die Dame auf
14 Tage geſetzt und am Schluſſe hinzugefügt, es werde
keine Antwort erwartet.“ Die Handſchrift war kaum
leſerlich und dennoch erklärte unſere arme Couſine dieſes
Machwerk für vollkommen: Das Gekritzel ließ ſich mit
der Eile entſchuldigen; die Förmlichkeit nannte ſie feinen
Ton; die Kälte hohe Achtung gegen ſie; und ſo legte ſie
nun ſelbſt den ſchmeichelnden, heilkräftigen Balſam auf
ihr tief verwundetes Herz. Die bisherige Vernachläſſig⸗
ung ſchwand gänzlich aus dem Gedächtniß dieſer leicht
vergebenden, nun ſtolz erhobenen Seele, und ſie vergoß
reichliche Thränen über das theure Pfand des Andenkens
ihrer vortrefflichen Lady Anna; ſie küßte es zu wieder—
holten Malen und verbarg es in ihrem Buſen. — —
„Schade um meinen unvergleichlichen arabiſchen Hengſt!“
ſagte Lindores mit einem halb ungewiß forſchenden, halb
bekümmerten Blicke auf Beatrir. — — „Wie meinen
Sie, Lindores?“ rief das Fräulein faſt erſchrocken aus,
indem ihre Wangen ſich höher rötheten und ihre Stimme
die Unruhe ihres Innern verrieth. — — „Ich meine
C. Grimm, Lebensbilder. 3