Am Hofe Ludwigs XIV. 15
Die Dame ſtimmte in das Lachen ein, allein der Verhöhnte durchſchritt,
ohne die Spötter des Anſehens zu würdigen, die Länge des Saales und blieb
in der Nähe zweier älteren Herren ſtehen, die ſich mit gedämpfter Stimme
lebhaft unterhielten.
„Ich ſage Ihnen, lieber Marquis“, ſprach der eine halblaut, „ich werde
es noch erleben, unſer Frankreich, ohnehin ſchon jetzt die erſte Nation der
Welt, an der Spitze von ganz Europa zu ſehen. Wie haben ſich die Grenzen
unſres Reiches ſeit des großen Kardinals ſtrenger Regierung erweitert, und
nun erſt unter Ludwig dem Großen! Louvois, der das Kriegsweſen, und
Colbert, der die innere Verwaltung leitet, förKdern unſres Monarchen weitaus
ſchauende Pläne; alle Unternehmungen gelingen. Nicht umſonſt iſt Sr. Majeſtät
vor kurzem vom Papſte der Titel „der allerchriſtlichſte König“ verliehen worden;
er wird und will ihm Ehre machen. Sein Streben iſt darauf gerichtet, unſre
heilige Kirche zur herrſchenden in Europa zu erheben, und Frankreich, wie
ich ſagte, als gebietende Vormacht über unſern Weltteil aufzuſtellen. Und
die Erfüllung dieſer Abſichten kann nicht fehlen. In England iſt durch die
letzten Stuarts der Proteſtantismus in arge Bedrängnis geraten. Iſt er erſt
dort unterdrückt, ſo wird es ein leichtes ſein, ihn auch in Deutſchland zu über
winden. Unſer ſchlimmſter Feind, der Markgraf oder Kurfürſt von Brandenburg,
iſt uns gegenüber doch nicht mächtig genug — alles in allem die Zeit iſt günſtig.“
„Sie vergeſſen, Herr Graf“, erwiderte bedächtig der andre, „daß jene
glücklich geführten Kriege uns gerade keine Sympathien eingetragen haben;
hört man ſie doch häufig genug als „Raubkriege“ bezeichnet. Es dürfte
ferner nicht ſo leicht ſein, über die proteſtantiſche Hochkirche in England den
Sieg davonzutragen; hat nicht der ſtaatskluge Wilhelm von Oranien bis jetzt
an der Spitze der vereinigten holländiſchen Provinzen uns gerade ſchon
genug zu ſchaffen gemacht? Wie anders noch, wenn er dem Rufe des hohen
Adels von England und der anglikaniſchen Biſchöfe Folge leiſtet und ſich die
engliſche Krone aufs Haupt ſetzt? Er ſteht dann gegen uns mit ſeinem klaren
Geiſte und ſtarken Willen und kraftvollen Arm. Seit Jahren tritt er unauf⸗
hörlich mit der ihm eignen Entſchloſſenheit unſerm Einfluß und unſern Ab—
ſichten hindernd entgegen .. . . Auch ich liebe mein ſchönes Vaterland; ich
halte Frankreich für das herrlichſte Land der Erde; auch ich möchte unſern
König anerkannt und hochgeehrt ſehen als das, was er iſt, als den that—
krüftigſten, unternehmendſten, umſichtigſten Herrſcher ... gewiß möchte ich
mein Vaterland an der Spitze aller Nationen geſtellt wiſſen, und ich werde
dafür eintreten wie immer mit meinem Degen und meinem Wort, aber
dennoch rufe ich mit Colbert: Nur im Frieden gedeiht des Landes Wohl⸗
fahrt zum Segen aller! Da heben ſich Handel und Wandel, da können unſre
Hilfsmittel vermehrt, die Finanzen geregelt werden, dadurch wächſt der Wohl
ſtand des ganzen Landes.“