Sechſtes Rapitel.
Durch Not zum Sieg.
An einem freundlichen Septemberabend des Jahres 1802
ſchritt ein Wanderer durch das heſſiſche Städtchen Vach. Er ſah
ſeltſam genug aus, trug einen verſchnürten Rock und derbe hohe
Stiefel, hatte auf dem Rücken einen Torniſter aus Seehundsfell
und in der Hand einen derben Stock. Sein dunkles Haar, das
unter der Mütze hervorſah, war glatt und kurz geſchoren. Er
betrat ein Wirtshaus und begehrte ein Himmer für die Nacht.
Bier legte er ſein Gepäck ab, wuſch ſich und begab ſich dann
nach der Wirtsſtube, um ſein Abendbrot einzunehmen. Der Wirt,
ein alter, weißhaariger Mann, ſetzte ſich freundlich zu dem
Fremden und begann ein Geſpräch.
Plötzlich fragte der Fremde: „Ihr ſeid wohl ſchon mehr als
zwanzig Jahre hier im Hauſe d“
„Ei, freilich, ich bin darin aufgewachſen und daheim. Warum
fragt Ihr d“
„Weil wir uns dann vor 24 Jahren an demſelben Tiſche
geſehen haben. Damals war ich hier als ein wandernder Student,
und von hier aus haben mich die heſſiſchen Werber fortgeſchleppt.“
„Du mein Heiland!“ rief der Wirt — „ja, das weiß ich
noch wie heute! Und ich habe oft an Euch gedacht, Berr, und
Ihr habt mir in der Seele leid getan. Es war ja nichts Unge⸗
wöhnliches bei uns, aber Euch hab' ich in der Erinnerung. Ihr
hattet einen Degen an der Seite gehabt, als Ihr kamt .., o,
du mein Beiland — wie mich das freut, Euch wiederzuſehen!“
„Iſt's denn nun beſſer geworden bei euch in Beſſend“
Der alte Mann ſchob ſein Käppchen beiſeite und kraute in
ſeinen weißen Haaren:
„Im — die Menſchen werden gerade nicht mehr verkauft,
und unſer Landgraf Friedrich II. iſt lange tot — aber es iſt doch
vieles nicht, wie es ſein ſollte. Das Volk hat eben gar nichts
zu ſagen, und muß zuſehen, wie das Geld des Landes verpraßt
wird, wie die Herren vom Adel herumſcharwenzen um den BRof,
ſich ducken um die Biſſen, die von dort abfallen, und wie das
Recht verdreht wird ... aber, Berr, wir ſind trotzdem treue
Heſſen