Full text: Aus Tagen deutscher Not

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Gerechten, aber am andern Morgen verlangte er zu dem General 
geführt zu werden. Einige von ſeinen Gefährten lachten, andere 
ſahen ihn mit ſtillem Mitleid an, aber man willfahrte ihm. 
Der General Horn, vor den er kam, war ein alter Berr mit 
einem gelben, faltigen Geſicht, in dem ein mächtiger Schnurrbart 
prangte. Er herrſchte ihn an: „Was will Er d“ 
„Nalten zu Gnaden, Berr General — man hat mich in Vach 
wider meinen Willen zum Rekruten gemacht, und ich bitte um 
meine Freilaſſung.“ 
„Sonſt nichts?“ fragte ganz ernſt der alte Offizier — „Aehn⸗ 
liches hab' ich wohl ein paar hundert Mal gehört. Warum will 
Er nicht bleiben d“ 
„Weil ich widerrechtlich feſtgehalten worden bin auf meiner 
Reiſe nach Paris, wohin ich Studierens halber gehen wollte. 
Ich bin Leipziger Student, und hier iſt meine LCegitimation!“ 
Er reichte das Papier dem General, dieſer aber, ohne es näher 
anzuſehen, zerriß es in einige Stücke, die er zu Boden fallen ließ. 
„Er iſt Student geweſen — jetzt iſt Er landgräflich Beſſen⸗ 
Raſſeler Soldat, das merke Er und nicht gemuckſt! Rechtsum 
kehrt!“ 
Seume ſtand einen Augenblick verdutzt; er hätte aufſchreien 
mögen vor heißem Ingrimm, aber er bezwang ſich. Es ging 
ihm eben nicht ſchlimmer als vielen hundert andern, und mit 
einem gewiſſen Trotze legte er den Ropf in den Nacken, biß die 
Sähne aufeinander und ging mit feſten Schritten. Da rief ihn 
der General zurück. 
„Er gefällt mir, Seume!“ ſprach er jetzt mit einem beinahe 
wohlwollenden Tone, „aber ich kann Ihm nicht helfen. Wir 
müſſen alle Subordination halten. Na, wenn Er ſich gut führt, will 
ich Ihn als Schreiber braͤuchen, ſo lang Er noch in Siegenhain 
bleibt, und das kann bis ins Frühjahr dauern — alſo merk' 
Er das!“ 
Seume ging, und es war ihm beinahe ein wenig behaglicher, 
als er zu den übrigen zurückkehrte, trotz ſeiner zerriſſenen Legi⸗ 
timation. Fürs erſte freilich mußte er in den nächſten Tagen 
mitexerzieren, doch gab's daneben genug müßige Seit, während 
welcher er ſeine Bücher hervorholte und in einem Winkel las. 
Faſt jeden Tag kamen neue Schickſalsgefährten, vielfach mit 
trotzigen, verbiſſenen Geſichtern, denen man es anmerkte, daß ſie
	        
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