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auferſtehen, und ſein Geiſt ſoll mit uns ſein. Bört ſein Ver⸗
mächtnis, das er in ſeinem Todesjahre uns gab!“ Und mit
gewaltiger Stimme trug Guſtav Heiter jenes letzte Gedicht Seumes
vor. Andächtig lauſchten die Börer. Als das Schlußwort ver⸗
klungen war:
— daß wir Einheit, Sreiheit, Recht erwerben,
Oder alle die Geſchwächten ſterben,
Und die Weltgeſchichte gräbt das Grab — —
da brauſte wie ein zorniger Grkan der Ruf durch die Lüfte:
„Laßt uns Einheit, Freiheit, Recht erwerben! — Blut und Leben
für Nönig und Vaterland!“
Bunderte ſcharten ſich zuſammen und zogen mit ſtürmiſchen
Geſängen unter den Fenſtern des königlichen Schloſſes hin. Auf
dem Altan erſchien Friedrich Wilhelm III., Tränen entfloſſen
ſeinen Augen beim Anblick ſeines begeiſterten Volkes. „Segne
uns Gott!“ ſprach er zu dem General Scharnhorſt, der, gleich
ihm, bewegt an ſeiner Seite ſtand.
Und Gott hat die deutſche Begeiſterung und die deutſchen
Waffen geſegnet.
Im Beere des Feldmarſchalls Blücher kämpfte unſer Freund
Guſtav als freiwilliger Jäger, und Wilhelm unter der LCandwehr.
Sie haben an der Uatzbach mitgefochten und in der Völkerſchlacht
bei Leipzig — und Wilhelm Beiter ließ ſich auch durch eine
Wunde ani linken Arme nicht abhalten, mit hinein zu marſchieren
nach Frankreich. Das war die glorreiche Seit der deutſchen Be⸗
freiungskriege, in welcher das deutſche Volk ſich wiederfand in
Uraft und Einigkeit, in welcher der gute Kern ſeines Weſens,
an dem Seume niemals ganz verzweifelte, wieder zum Durch⸗
bruch kam, in welcher neben dem Todesmut der Streiter auch
das Lied der deutſchen Dichter ſeinen vollgemeſſenen Anteil hatte
an Sieg und Ruhm.
Bei dem Einzuge in Paris trafen Wilhelm und ſein Pflege⸗
ſohn, die der Krieg auseinander gebracht hatte, ſich wieder; beide
trugen das eiſerne Kreuz auf der Bruſt. Sie umarmten ſich
tiefbewegt, und wie aus einem Munde riefen ſie: „Wenn Seume
das erlebt hätte!
Gegen Ende Mai des Jahres 1815 — Napoleon war bereit⸗
in ſeiner Verbannung auf Elba — gingen die Beiden gemeinſam