Full text: Mit der großen Armee 1812 nach Moskau und in der brennenden Stadt

16 SeSeeeeeeeeeeeee François Bourgogne Seeeeetttt 
In dieſer Nacht wandelte mich und zwei Freunde, Unteroffiziere 
wie ich, die Luſt an, uns den Kreml, von dem ſo viel die Rede war, an⸗ 
zuſehen. Wir machten uns alſo auf den Weg. Für dieſen ſelbſt be⸗ 
durften wir ja keiner beſonderen Beleuchtung, da wir aber auch den 
Wohnungen und Kellern der vornehmern Woskowiter einen Beſuch 
abzuſtatten gedachten, nahmen wir jeder einen Mann der Kompagnie 
mit, den wir mit aufgefundenen Kerzen verſahen. 
Trotzdem meine Kameraden den Weg zum Kreml ſchon zweimal 
gemacht hatten, verirrten wir uns doch bald, denn das fortwährende 
Zuſammenſtürzen der Häuſer gab den Straßen ein ganz verändertes 
Ausſehen. Nachdem wir ohne beſtimmte Richtung, je nachdem es das 
Feuer erlaubte, umhergezogen waren, trafen wir auf einen Zuden, 
der ſich beim Anblick ſeiner brennenden Synagoge, deren Rabbiner er 
war, Haar und Bart raufte. In deutſcher Sprache klaͤgte er uns, daß 
er und ſeine Glaubensgenoſſen all ihr Eigentum von Wert zur Sicher⸗ 
heit in den Tempel gebracht hätten und daß nun alles verloren wäre. 
Wir bemühten uns, ihn zu tröſten, nahmen ihn am Arm und befahlen 
ihm, uns nach dem Kreml zu führen. 
Noch heute muß ich lachen, wenn ich daran denke, wie der Jude 
mitten in all ſeinem Kummer und Herzeleid uns plötzlich fragte, ob 
wir nichts zu verſchachern oder zu vertauſchen hätten. Es mag wohl 
die Macht der Gewohnheit geweſen ſein, die ihn dieſe Anfrage ſtellen 
ließ; denn im Augenblick war wahrhaftig kein Geſchäft zu machen. 
Nachdem wir durch mehrere Stadtviertel gekommen waren, welche 
größtenteils brannten, und auch manche ſchöne Straßen bemerkt hatten, 
die noch verſchont geblieben waren, erreichten wir nicht weit von der 
Moskwa einen kleinen, etwas hoch gelegenen Platz, von welchem aus 
uns der Zude die Türme des Kremls zeigte, die man bei dem Schein 
der Flammen ſo deutlich wie am hellen Tage erkannte. Wir hielten 
uns hier etwas auf, um einen Keller zu beſuchen, den eben einige Garde⸗ 
reiter verließen. Wir nahmen uns von hier Wein, Zucker und viel ein⸗ 
gemachte Früchte mit, was alles wir dem Zuden aufpackten. 
Es war Tag geworden, als wir bei der erſten Umwallung des 
Kremls ankamen. Wir gingen durch ein großes Tor von grauem Geſtein, 
welches zu Ehren des heiligen Nikolaus mit einem kleinen Glockenturm 
gekrönt war. Dieſer große Heilige ſteht in reicher Kleidung und in mehr 
als ſechs Fuß Höhe in einer Niſche des Torwegs. Feder vorübergehende 
Ruſſe, ſelbſt jeder Sträfling und Verbrecher erweiſt ihm göttliche Ver⸗ 
ehrung; er iſt der Schutzheilige Rußlands. 
Jenſeits des erſten Walles bogen wir nach rechts ein, nachdem wir 
unter mancherlei Schwierigkeiten eine Straße entlang gezogen waren, 
auf welcher in mehreren Häuſern, die von Marketenderinnen der Garde 
bewohnt wurden, Feuer ausgebrochen war, und gelangten an eine hohe 
Mauer, die in beſtimmten Zwiſchenräumen dicke Türme überragten, 
deren Spitzen vergoldete Adler trugen. 
Nachdem wir wiederum ein mächtiges Tor paſſiert hatten, be⸗ 
fanden wir uns dem Reſidenzſchloß gegenüber, in welches der Kaiſer
	        
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