Full text: Mit der großen Armee 1812 nach Moskau und in der brennenden Stadt

10 SSee Frangçois Bourgogne See 
und Eroberungen in anderer Weiſe machen werden.“ Denn das iſt 
die Art des franzöſiſchen Soldaten: aus dem Kampf zur Liebe, von 
der Liebe in den Kampf. 
Während wir mit ſolchen Gefühlen in die Betrachtung der Stadt 
verſunken waren, erhielten wir Befehl, den Paradeanzug anzulegen. 
Ich gehörte an dieſem Tage mit 15 Mann zur Vorhut, und es 
waren mir mehrere in der Schlacht an der Moskwa gefangene ruſſiſche 
Offiziere zur Bewachung überwieſen worden. Unter dieſen befand 
ſich auch ein Pope, wahrſcheinlich ein Feldgeiſtlicher, welcher ſehr gut 
Franzöſiſch ſprach und ſein Schickſal ſchwerer als ſeine Gefährten zu 
empfinden ſchien. Es war mir aufgefallen, daß er ſowie alle andern 
Gefangenen, als ſie auf der Höhe ankamen, ſich gegen die Stadt ver⸗ 
neigten und wiederholt bekreuzten. Zch bat den Prieſter, mir den Grund 
davon zu erklären. „Mein Herr,“ erwiderte er, „der Berg, auf dem 
wir ſtehen, trägt den Namen „der Berg des Grußes“, und jeder gute 
Moskowiter muß ſich beim Erblicken der heiligen Stadt verneigen und 
das Zeichen des Kreuzes machen.“ 
Bald hiernach ſtiegen wir den Berg hinab und hatten nach einer 
Viertelſtunde das Stadttor erreicht. 
Der Kaiſer mit ſeinem Gefolge hielt ſchon vor demſelben. Wir 
machten halt. Nach kurzer Zeit kam der Marſchall Duroc aus der Stadt 
in Begleitung von einigen Franzöſiſch ſprechenden Einwohnern, an die 
der Kaiſer verſchiedene Fragen richtete. Darauf meldete der Marſchall 
Sr. Majeſtät, daß ſich im Kreml eine Menge bewaffneter Kerle be⸗ 
fänden, welche größtenteils aus den Gefängniſſen freigelaſſene Ver⸗ 
brecher wären, die Kavallerie des Königs Murat beſchöſſen und wieder⸗ 
holter Aufforderung ungeachtet ſich weigerten, die Tore zu öffnen. 
„Die ganze Bande iſt betrunken und will keine Vernunft annehmen“. 
ſchloß der Marſchall. 
„So ſoll man die Tore durch Kanonen öffnen und das ganze Ge⸗ 
ſindel zum Teufel jagen!“ entgegnete der Kaiſer. 
Dies war inzwiſchen ſchon geſchehen; König Murat hatte ſich nicht 
weiter aufhalten laſſen. Zwei Kanonenſchüſſe hatten genügt, das ganze 
Lumpenpack zu zerſtreuen und der Reiterei den Weg frei zu machen, 
um der ruſſiſchen Nachhut auf den Ferſen zu bleiben. 
Ein Trommelwirbel aller Tamboure der Garde erfolgte. Dies 
war das Zeichen zum Einrücken in die Stadt. Es war drei Uhr nach⸗ 
mittags. Die Muſik mit klingendem Spiel voran, zog die Marſchkolonne 
durch das Tor. 
Kaum waren wir in der Vorſtadt eine Strecke marſchiert, als wir 
mehrere von den Kerlen, die aus dem Kreml verjagt worden waren, 
umherſchleichen ſahen. Sie hatten abſchreckende Geſichter und waren 
mit Gewehren, Lanzen oder Miſtgabeln bewaffnet. Auf der Brücke, 
die die Vorſtadt von der Stadt trennt, kam uns ein ſolches Galgen— 
geſicht entgegen, das unter der Brücke hervorgekrochen war. Der Strolch 
trug ein Wams aus Schaffell und einen Ledergürtel um die Hüften; 
langes graues Haar fiel über ſeine Schultern und ein dichter weißer 
Bart bis auf den Gürtel. Er war mit einer dreizinkigen Heugabel be⸗
	        
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