Full text: Das alte Wunderland der Pyramiden

Das geſegnete Wunderland Aegypten. 
Hier ſehen wir auf einer Länge von vier Stunden nur Granitgeſtein, das 
von der Stadt Syene den Namen Syenit erhalten hat. Das iſt derſelbe pracht— 
volle rothe Stein, aus dem alle Obelisken, eine Menge Särge und andere koloſſale 
Steinmetzarbeiten gemacht werden; dieſer im ganzen Alterthume weit und breit 
berühmte Stein, der ſo überaus beliebt war wegen ſeiner Farbe, ſeiner Dauer⸗ 
haftigkeit und der herrlichen, ſpiegelglatten Politur, die man ihm hier in Ae— 
gypten zu geben weiß. Das ſchöne Roth wird meiſt nur in den Bruchſtellen 
ſichtbar; die Außenſeite der Felſen hat eine dunklere, braunrothe Färbung an⸗ 
genommen; aber die Steinmaſſen inmitten friſchgrünender Bäume gewähren 
einen überaus maleriſchen Anblick. 
An manchen Stellen iſt der Granit heller — graugelblich — an anderen 
wechſelt die Farbe noch mehr, wird ſchwärzlich. Hier iſt er grau mit grünen 
Punkten, da ſchwarz mit weißen Punkten, dort dunkelgrün. Die letztgenannten 
Sorten ſind beſonders beliebt zu Bildhauerarbeiten, Bildſäulen der Götter 
und Könige, Sphinxen ꝛc. 
Aber jetzt müſſen wir einen Blick auf den Fluß ſelbſt werfen! Siehe, er 
erweitert ſich, nimmt zu an Breite, und Inſeln treten aus ihm hervor; wir 
ſind in eine wahre Inſelwelt hineingerathen. Auf einem Wege von drei 
Stunden erheben ſich über 160 größere und kleinere Inſeln aus dem Fluſſe, 
meiſt kleine Felſeninſeln — auch wieder rother Granit — zum Theil aber 
auch größere, ebene Flächen, die angebaut und bewohnt ſind; die kleinſten mögen 
kaum 100 m lang und etwa eben ſo breit ſein; die größte aber — und 
an dieſe kommen wir zuerſt — iſt über 20 Minuten breit und gegen drei 
Viertelſtunden lang. 
Wir halten uns nun rechts; denn drüben am linken Ufer iſt es ganz un⸗ 
möglich, durch alle jene Klippen hindurchzukommen. Plötzlich entrollt ſich vor 
unſeren Augen ein neues, herrliches Bild! Das iſt der erſte Tempel, den wir 
ſehen! Dort taucht die Inſel Philä auf. Sie heißt eigentlich P-i-lak, d. h. 
„die äußerſte Inſel“, alſo die Grenzinſel; uns aber iſt die griechiſche Form 
des Namens geläufiger. An ſich iſt ſie ein unbedeutendes Inſelchen, von Nord— 
weſt nach Südoſt in ihrer größten Ausdehnung nur 330 mlang, 120 mibreit. 
In einer Viertelſtunde kann man längs des Ufers die ganze Inſel umſchritten 
haben. Aber wie viel iſt darauf zu ſehen! Vor allem der große, weit be— 
rühmte Oſiristempel mit ſeinen Säulenhallen, mit den hohen Thorflügeln, 
den Obelisken, mit all dem Bildwerk, den ungezählten Reliefdarſtellungen auf 
ſeinen Wänden! — Nur Prieſtern iſt hier der Eingang geſtattet: jedem Andern 
ſind die ehernen Pforten unwandelbar verſchloſſen — denn hier, hier ſchläft 
der große Oſiris, hier iſt er begraben. Daneben ſteht auch noch ein kleiner 
Tempel der Iſis, ſeiner Gemahlin. Von Süden her nahten in Menge 
die frommen Wallfahrer; hier iſt die große Landungstreppe, neben welcher die 
Boote, groß und klein, koſtbar und beſcheiden, anlegten, daß ihre Inſaſſen auch 
einmal im Leben die heilige Inſel beſuchen und daſelbſt im Tempelhofe opfern 
und beten konnten. Welche Maſſe von Prachtbauten, Prieſterwohnungen und 
Nebengebäuden! Bei den Einzelheiten können wir uns nicht aufhalten, aber 
einige Punkte wollen wir uns gleich hier merken:
	        
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