Das geſegnete Wunderland Aegypten. 5
Kemi, das alte Aegypten, iſt im Norden begrenzt von dem Mittelländiſchen
Meere, im Oſten von der Landenge von Suês und dem Rothen Meere, im
Süden von Nubien. Hier läßt ſich die Grenze nicht in ihrer ganzen Länge
ſcharf beſtimmen, da ſie durch öde, unbewohnte Gegenden geht; doch können
wir ziemlich genau den 24.0 nördlicher Breite annehmen. Im Weſten fällt
die Grenze in das Libyſche Gebirge, war alſo nie wirklich erkennbar, denn
hier iſt es wüſt, kahl, durchaus unangebaut; Grenznachbarn konnten ſich kein
Stück Landes ſtreitig machen, denn — es gab und giebt keine Grenznachbarn.
Der Flächenraum des Wunderlandes, welches wir durchreiſen, beträgt
circa 8000 Quadratmeilen, alſo beinahe die Größe des Königreichs Spanien;
bewohnt und angebaut ſind aber nur etwa 750 Geviertmeilen, d. i. un⸗
gefähr ſo viel wie die Provinz Schleſien.
Mitten durch das Land fließt von Süden nach Norden in einer Länge
von 320 Stunden der Jaro, der einzige Fluß des Landes; und nur das enge
Stromthal, durchſchnittlich nicht breiter als vier bis ſechs Stunden, iſt bewohnt
und angebaut. Rechts, alſo nach dem Rothen Meere zu, erheben ſich ſteile
Felsberge, die ſo kahl ſind, daß nicht ein einziger Baum, nicht ein Grashalm
auf ihnen zu ſehen iſt. Sie ſind von trockenen Querthälern durchſchnitten, halten
ſich ziemlich in gleicher Höhe und fallen am Rothen Meere wieder ſteil ab.
In gleicher Weiſe erheben ſich links die Libyſchen Berge — nicht minder
öde, einſam und todt. Doch ſind hier die Abhänge ſchiefer, ſo daß das Ge—
birge an den meiſten Stellen erſtiegen werden kann. Es reicht bis zur Liby⸗
ſchen Wüſte und iſt einigermaßen Schutzmauer gegen den Alles begrabenden
Sand. Von den Querthälern, die ſich auch hier finden, führen einige zu den Oaſen.
Der Fluß hat ſein Bette meiſt auf der rechten, öſtlichen Seite des Thales.
Etwa 40 Stunden vom Meere entfernt treten die Berge nach beiden Seiten
zurück und laſſen ſo eine Ebene zwiſchen ſich frei, die immer breiter wird und
ungefähr die Geſtalt eines Dreiecks hat. Der Fluß theilt ſich erſt in zwei,
ſpäter durch weitere Theilungen in ſieben Arme, von denen der öſtlichſte vom
weſtlichſten an der Mündung etwa 50 Stunden entfernt iſt. Der Weg,
den der Nil nach ſeiner Theilung durchfließt, beträgt wegen der vielen Krüm-
mungen immer noch 70 Stunden; von der erſten Theilung bis zur Südgrenze
ſind es 250 Stunden.
Die Eintheilung in Ober⸗, Mittel- und Unterägypten, welche in unſeren
heutigen Lehrbüchern der Geographie beliebt wird, kannten die alten Aegypter
nicht; bei ihnen gab es nur Tares, das „Südland“, reichend bis zur Thei—
lung des Fluſſes, und Tameh, das „Nordland“, alſo der Theil, welchen wir
heute das Delta nennen, und welcher damals auch den Namen Tamera, „Land
der Ueberſchwemmung“, führte.
Halten wir an und betrachten uns die Gegend! Wir ſind noch immer
an der Südgrenze Aegyptens. Der Nil hat hier durchſchnittlich eine Breite
von einer Viertelſtunde. Von beiden Seiten treten die ſteilen Felsberge,
welche namentlich rechts faſt ſenkrecht wie eine Wand abfallen, bis auf 70 m
und darüber nahe ans Ufer, ja, manchmal bleibt nur nothdürftig Raum zu
einem Fahrwege.