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Allmälig kam die Dämmerung herauf, es wurde immer dunkler und
ſtiller und nachdem die lauten luſtigen Vögel in ihre Neſter gekrochen
waren, ſchlüpften die häßlichen Fledermäuſe hervor und ſchwirrten und
huſchten durch die Abendluft. —
Da kam um die Ecke der Scheune ein Mann daher. Er ſchlich leiſe
und ängſtlich immer der Mauer entlang, wo es am dunkelſten war. Da
bei ſah er ſich ſcheu nach allen Seiten um, ob auch kein Menſch da wäre,
der ihn bemerken könnte. Als er ſich aber ganz ſicher glaubte, kletterte er auf
die Mauer, kroch dort auf allen Vieren wie eine Katze weiter, bis an
eine Stelle, wo die Mauer an's Haus ſtieß und ſchwang ſich dann in ein
Fenſter des Hauſes hinein, das gerade offen ſtand.
Der Mann aber hatte recht böſe Dinge im Sinne, denn er war ein
Dieb und gedachte die Leute, die in dem Hauſe wohnten, zu beſtehlen.
Nachdem er durch das Fenſter hineingekrochen war, befand er ſich in
einer leeren Kammer, dicht daneben war die Wohnſtube der Hausbewohner;
eine Thüre, die dort hineinführte, war nicht geſchloſſen, ſondern nur leicht
angelehnt.
Der Dieb wußte wohl, daß die Leute ebenfalls auf den Jahrmarkt
gegangen, doch dachte er, es könnte vielleicht zufällig Jemand in die Stube
gekommen ſein, legte daher das Ohr an die Thürſpalte und horchte.
Dirinnen hörte er ein Kind laut ſprechen, und wie er durch's Schlüſſel
loch guckte, ſah er beim Dämmerſcheine, daß es ganz allein mit gefalteten
Händen in ſeinem Bettchen ſaß das Kind betete, wie es immer vor
Schlafengehen that, laut ſein Vaterunſer.
Schon ſann der Mann darüber nach, wie er dennoch ſeinen Diebſtahl
am Beſten ausführen möchte, da hörte er, wie das Kind mit lauter, klarer
Stimme eben die Worte betete: „Und führe uns nicht in Verſuchung, ſon
dern erlöſe uns von dem Uebel!“
Das ging dem Manne tief zu Herzen und ſein Gewiſſen erwachte.