121
den Wolken über dem Wald empor. Nun wurde es noch viel, viel ſtiller
als vorher, ſo ſtill wie es im Grabe ſein mag, wenn man todt iſt. Und
in der weiten Runde hörte das Schweſterchen nichts als ſeine eignen Tritte.
Da erſcholl plötzlich von weitem ein recht ſchauerlicher Ton, der rief
immer: „Schuhu! Schuhu!“ und alsdann ward es wieder ſtill. — Nach
einem Weilchen rief es wieder: „Schuhu! Schuhu!“ und zugleich kamen
ein paar helle Lichter dicht neben einander von weitem durch die Luft ge
flogen. Drauf wurde es wieder eine Weile ſtill. — Aber mit einem
Male rief es dicht über dem Schweſterchen ganz dumpf und heiſer: „Schuhu!
Schuhu!“ und ein großer Uhu mit funkelnden Augen flog im Kreiſe ihm
über den Kopf. Das war ein ſchrecklich garſtiges Thier. Sein Schnabel
hing ihm wie eine lange ſpitze Naſe herab, aber auf dem Kopfe und an
den Ohren ſträubten ſich rauhe Federn in die Höhe.
Als das Schweſterchen das grauſige Thier erblickte, wie das ihm imm er
tiefer und näher über den Kopf flog und ſeine beiden Augen immer heller
funkelten, da überfiel es endlich doch eine große Angſt und vor Schreck
ließ es ſein Laternchen zur Erde fallen. Das aber ging nicht aus, ſondern
das Licht darin flackerte hell auf, daß es einen hellen Schein gab. Davon
ward der Uhu ſo verblendet, daß er ängſtlich hin und her flatterte und
endlich im Dunkel verſchwand.
Nun aber kam dem Kinde wieder ſein Brüderchen in den Sinn und
bei dem Gedanken war alle Furcht verſchwunden. Raſch hob es ſein
Laternchen auf und leuchtete damit um ſich her. Da ſah es, daß es vor
einem alten Gemäuer ſtand, das war mit einer eiſernen Thüre verſchloſſen.
„Lieb Brüderchen, biſt du darin?“ rief das Mädchen. Als aber nichts
antwortete, ſuchte es dennoch, ob es kein Schloß fände. Es erblickte auch
zwei kleine helle Pünktchen an der Thüre, das waren die Leuchtkäfer, und
wo die ſaßen, war auch ein ganz kleines Schlüſſelloch, grade nur ſo groß,
daß das Schlüſſelchen, das ihm die Eidechſen gegeben, hineinpaßte.
16