Full text: Die Wasserflut am Rheine. Das stumme Kind. Die Kirschen. Die Margaretenblümchen. Der Kuchen

ſeine reine Ausſprache, der feine Anſtand in ſeinem Be— 
tragen, ſtachen ſehr ab gegen die bäueriſche Tracht ſeiner 
Brüder, ihre von der Sonne gebräunten Geſichter, ihre 
ländliche Mundart, ihre Dorſſitten und übergroße Höflich- 
keit. Allein, da er ſo ganz ohne allen Stolz, ſo anſpruchslos 
und beſcheiden, ſo liebreich und freundlich war, ſo ge— 
wannen Brüder und Schweſtern bald Zutrauen zu ihm, und 
ſie redeten ſo vertraulich mit ihm, als wären ſie mit ihm 
erzogen worden. Sie gingen mit ihm auf die Wieſe, in 
den Weinberg, und umher in der Gegend. Sie zeigten ihm 
alles, was das Landleben Schönes und Angenehmes hat. 
Er hatte nun freilich vieles gelernt, und redete von vielem, 
was ſie nicht wußten; allein auch ſie wußten vieles, was 
ihm gänzlich unbekannt war. Er wußte als ein Städter, 
der wenig vor das Thor der Stadt kam, die verſchiedenen 
Getreidearten auf dem Felde kaum zu unterſcheiden; ſie 
aber konnten ihm faſt jedes Feldblümchen nennen. 
Sie gingen an einem blühenden Flachsacker vorbei, 
und er fragte, wie es denn komme, daß man gar ſo viele 
von den niedlichen blauen Blümlein anbaue, und wozu 
ſie dienen? Wie er vorhin manchmal über ihre Un⸗ 
wiſſenheit gelächelt hatte, ſo brachen jetzt ſie, die keine ſo 
feinen Begriffe vom Schicklichen hatten, in lautes Lachen 
aus. Allein ſobald ſie wahrnahmen, daß er etwas be— 
ſchämt errötete, hörten ſie ſogleich auf zu lachen, und die 
zwei Schweſtern erzählten ihm nun die Geſchichte des Flach⸗ 
ſes, vom Leinkörnlein an, das in die Erde gelegt wird, 
bis zu den gelben Flachsreiſten, die goldenem Haare glei⸗ 
chen, und zu den zarten, viele hundert Ellen langen Fäden 
verſponnen werden, aus denen die ſchöne, weiße Leinwand 
und die feinen Spitzen, dergleichen er ihnen mitbrachte, 
gewebt und geklöppelt werden. Daniel ſagte: Ich ſehe 
nun wohl, auch ihr wißt vieles, was ich nicht weiß! Allein
	        
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