Full text: Die Wasserflut am Rheine. Das stumme Kind. Die Kirschen. Die Margaretenblümchen. Der Kuchen

nichts von ihnen. Ottiliens Angſt nahm mit jedem Augen⸗ 
blicke zu. Sie kniete mit feſtgefalteten Händen nicht weit 
von dem Feuer unter einer Tanne. Ein Kind, um das 
ſie die Schürze geſchlagen hatte, hielt ſie in den Armen; 
ein anderes, der kleine Georg, ſtand im bloßen Hemd— 
chen barfuß neben ihr und zitterte vor Froſt. Ottilie betete 
aus allen Kräften der Seele, und Angſtſchweiß benetzte ihre 
Stirne. Der kleine Georg, der dies am Glanze des Feuers 
bemerkte, ſagte in ſeiner kindlichen Einfalt: Mutter, wie 
kommt doch dies! Du ſchwitzeſt ja, und mich friert? Die 
Mutter ermahnte ihn und ſein nur um ein Jahr älteres 
Schweſterchen Marie, auch zu beten, und beide erhoben ihre 
Händchen zum Himmel. Endlich kam der Vater — mit 
troſtloſem Angeſicht und tröpfelnd vom Waſſer. Einer 
der zwei Männer, die ihn begleiteten, ſagte: Es war un⸗ 
möglich, Euer Haus zu erreichen, werte Nachbarin! Das 
Waſſer iſt zu tief und zu reißend. Wir wagten uns faſt 
bis an die Schultern hinein, und wären beinahe alle drei 
umgekommen. Der andere ſprach: Gebt indes die Hoff⸗ 
nung noch nicht ganz auf; mehrere brave Männer, deren 
Häuſer der Gefahr weniger ausgeſetzt waren, kamen ja 
ihren lieben Nachbarn treulich zu Hilfe. Sie ſind, bevor 
das Waſſer überhand genommen, mit Laternen in die 
Häuſer gedrungen, und haben viele Menſchen und manches 
Hausgerät gerettet. Vielleicht befinden ſich Wiege und 
Kind auch darunter. Wirklich kamen noch immer Leute, 
die mit allerlei Gerätſchaften beladen waren, auf dem 
Hügel an. Allein die Wiege kam nicht mehr zum Vor⸗ 
ſchein; niemand wußte etwas von dem Kinde. 
Die ſchauerliche Nacht mußte endlich dem Tage wei— 
chen. Sturm und Regen ließen nach. Die Wolken zerteil⸗ 
ten ſich. Die Sterne, die hie und da zwiſchen den zer⸗ 
riſſenen Wolken hervorblickten, flimmerten ſchon bleicher;
	        
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