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VI.
Wie es bei Dr. Barnardo war.
„Schön! Sehr ſchön! Wunderſchön!“ dachte Jakob
und dachte Anna. Ihre Augen erglänzten wie über⸗
irdiſch. Ein warmer Saal, ein geſchützter Platz, Thee⸗
und Kuchenduft, freundliche Geſichter; der Himmel konnte
nicht ſchöner ſein. „Iſt es ſo im Himmel?“ fragte Anna
ihren Gefährten, ganz voll Andacht und Vergnügen.
Herr Tolt, der mit ſeinem Vermögen zum Beſten
der unglücklichen Kinder arbeitete und deſſen Töchter zum
Helferinnenkreiſe des Dr. Barnardo gehörten, antwortete
ſtatt Jakobs: „Ja, gewiß, wir werden im Himmel ſo
glücklich, wie wir nur irgend wünſchen. Habt ihr es in
den ſchneekalten Straßen auch ſo wie hier, oder habt ihr
da Ahnliches geſehen?“ h
„Nein, nein, nein, Herr,“ riefen viele zugleich.
„Gut. So wird es auch im Himmel ſein: „Was
tein Auge geſehen und kein Ohr gehört und in keines
Menſchen Herz gekommen iſt, das hat Gott bereitet denen,
die ihn lieb haben. Was muß man alſo thun, um eines
Tages dahin zu gelangen?“
„Ihn lieben!“ rief Jakob.
„Willſt du das?“ fragte Dr. Barnardo, ſich lieb⸗
reich zu ihm neigend.
„Er thut es ſchon, Herr,“ entgegnete Anna raſch.
„So? Woher weißt du das denn?“ forſchte er.
Da ſchlug ſie die Augen nieder.
„Er mag nicht ſtehlen,“ ſtotterte ſie nach einer Weile.
Mit dem Ausdruck freudiger Überraſchung betrachtete
der Doktor den kleinen Mann.