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Kleide; in dem war gute Arznei, die auch den Durſt
ſtillte. Das Engelchen trat mit dem Fläſchchen an's Bett
und ſagte: „Liebes Kind, du haſt Durſt, ich ſehe es dir
an, komm', trinke einmal aus meinem Fläſchchen, dann
wirſt du auch bald wieder geſund!“ Das Kind fürchtete
ſich nicht, weil das Engelchen ſo ſchön war und ſo lieb
ausſah, und es trank, ohne ſich zu weigern oder zu
ſchreien. Darauf flog das Engelchen wieder fort. Als
aber die Mutter erwachte, war das Kind wieder geſund
und ſprach freundlich zu ihr: „Mutter, jetzt kann ich wie⸗
der aufſtehen, es thut mir nichts mehr weh.“ Und es
erzählte ſeiner Mutter von dem Engelchen und dem ſil—
bernen Fläſchchen.
82. Das kranke Kind.
Der Kopf thut mir weh', ich bin ſo krank,
Muß nehmen den braunen, bittern Trank,
Die Mutter ſieht ſo betrübt mich an,
Daß ich immer noch nicht aus dem Bette kann.
Herr Gott im Himmel, ich bin ja Dein,
O laß mich bald wieder beſſer ſein!
83. Das Thränenkrüglein.
Es waren einmal eine Mutter und ein Kind, und
die Mutter hatte das Kind lieb von ganzem Herzen und
konnte ohne das Kind nicht leben, weil ſie es gar ſo lieb
hatte. „Wenn es ſterben ſollte,“ hatte ſie oft geſagt,
„dann möchte ich mit ihm begraben werden.“ Aber da
ſchickte Gott eine große Krankheit, daran ſtarben viele
Kinder, und auch jenes Kind wurde krank, ſehr krank.
Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die
Mutter bei ihrem lieben Kinde, aber es ſtarb. Da trauerte
und weinte die Mutter gar ſehr, weil ihr einziges Kind
geſtorben war, und ſie aß nicht und trank nicht und
weinte, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte
lang ohne Aufhören und rief nach ihrem Kinde. In der
dritten Nacht aber ging leiſe die Thür auf, und die