Full text: Kinderlust

ohne daß es das Kind merkte, und da es erwachte, war 
es heller Morgen, und das Kind war wieder geſund. 
Das Waldmännlein ſtarb, als es hundert Jahre alt 
war. Da trauerte der ganze Wald. Die Vögel ſangen 
nicht mehr, die Blätter fielen von den Bäumen, und die 
Eichhörnchen und Häschen weinten die hellen Thränen. 
Nach drei Tagen begruben die Thiere des Waldes das 
Waldmännlein. Voraus flogen zwei Raben, dann kamen 
vier kleine Mäuslein, die auf den Hinterfüßen gingen 
und grüne Zweige in den Händen hatten. Dann folgten 
ſechs Igel, dann eine Menge Feldhühner, dann die Haſen, 
Maulwürfe, Tauben, die Finken und dann die Nachti— 
gallen, die ein Trauerlied ſangen. Nun kam der Leichen⸗ 
wagen von Tannenreiſern, gezogen von zwanzig Eichhörn— 
chen, und hinter dem Leichenwagen folgten noch viele, 
viele andere Thiere. Das war ein Zug, viel länger, als 
wenn ein Menſch begraben wird. Die Leiche begruben 
ſie auf einem Felſen und ſetzten ein eiſernes Kreuz auf 
das Grab. 
Seitdem iſt nie wieder ein Waldmännlein da geweſen 
und wird auch keines mehr wiederkommen, bis an den 
jüngſten Tag. 
26. Der Fichtenknabe. 
Ein Knabe ging einmal durch den Wald. Dort 
ſtanden viele Bäume, einer noch höher als der andere. 
Da ſagte der Knabe: „Ach, wenn ich doch auch ſo groß 
wäre, wie die Bäume da. Dann käme ich mit meinem 
Kopfe oben in die Wolken hinein und könnte mit den 
Vögeln oben in der Luft ſpielen. O, wie ſchön muß es 
da oben ſein! Wie ſtolz wollte ich auf die Kinder und 
die großen Leute herabſehen, die an mir vorüber gingen.“ 
— Wie er ſo ſprach, wurde er größer und größer und 
ſeine Füße ſaßen im Boden feſt, wie die Wurzeln des 
Baumes. Und ſeine Arme wurden dicke Aeſte und ſeine 
Haare wurden Zweige mit Nadeln daran, wie ſie auf der 
Fichtenbäumen zu ſehen ſind. Und es dauerte nicht lange,
	        
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