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Wohnhaus, der früheren Abtei zu führen, ſchloſſen ſich die
Schulkinder den Reihen der Erwachſenen an und boten,
die Mädchen in blau und weißen, die Knaben in grauen
Drillkleidern mit Rot geſäumt einen gar heitern Anblick.
Denn alle zeigten fröhliche Geſichter, ſchwenkten luſtig
Mützen und Tücher und ſuchten mit ihrem jubelnden Will⸗
kommen den Tuſch zu übertönen, mit dem ein Muſikkorps,
die aus Arbeitern gebildete Kapelle der Fabrik, die Ankunft
der Herrſchaft begrüßte. Nur ein finſterblickendes Geſicht
war im Hauſe zu ſehen.
Unten an der Steintreppe, die zum hohen Erdgeſchoß
des Hauſes hinauf führte, ſtanden die zahlreichen Beamten
der Fabrik, der Direktor an der Spitze, dahinter die Diener⸗
ſchaft, alle mit neugierigen Augen auf die neue Herrin
ſchauend, die nach allen Seiten grüßend, die achtungsvollen
Verneigungen erwiderte.
Aber als der Wagen hielt, flog leicht wie ein Schmetter⸗
ling mit lautem Jubelruf ein ſchlankes Mädchen die Stein⸗
ſtufen herab. Die ſchmächtige, für das kurze Kleidchen aber
bereits viel zu hohe Geſtalt trug einen feinen Kopf, um
den bei der Eile des Herabſpringens ſchwere lange Zöpfe
herumflogen. Dunkle Augen lachten entzückt, wie das ganze
Geſichtchen den Ankommenden entgegen, als ſie mit beiden
Armen die ausſteigende Jutta umſchlingend, ihr: „Will⸗
kommen, liebe Tante!“ zurief.
Im Augenblick, da Jutta, ſich aus der Umarmung
erhebend die eiſenumgitterten Fenſter des Erdgeſchoſſes
ſtreifte, glaubte ſie hinter den Scheiben dasſelbe Geſicht
noch einmal zu ſehen, aber größer, ſchärfer, mit feindſelig
ſpähendem Ausdruck auf ſich gerichtet. Im Nu war es