Nein, nein! dachte ſie jetzt faſt beängſtigt, ſie wollte
es nicht! — Sie wollte die Verſuchung meiden für ſich und
den Freund, und da ihr in dieſem Augenblick ein Brief
von Roſy gebracht wurde, eine Fortſetzung ihrer tagebuch⸗
artigen Berichte, fiel es ihr faſt ſchwer aufs Herz, wie
wenig ſie in der letzten Zeit an das liebe Kind gedacht,
an die Förderung der Neigung, die ſie in Charles Herberts
Herzen für Roſy vorausgeſetzt hatte, ehe ſie den Erben von
Schattenthal geſehen und wiedererkannt hatte!
Und was ſie ſich ſelbſt ſagte, wurde nur zu ſehr beſtätigt
durch das, was Roſy ſchrieb. Ein Ton wehmütiger Entſagung
war an die Stelle der früheren Hoffnungsfreudigkeit ge⸗
treten! Das junge Mädchen glaubte ſich bereits völlig ver⸗
geſſen von dem Herzen, das ſie ſo hoch ſtellte! Wie konnte
Herbert noch an ſie denken, wenn er bei Jutta war, wenn
er, wie die ſchöne Tante erzählte, faſt täglich den Anblick,
den Genuß ihres bezaubernden Weſens hatte?
Heroiſch, wie die Jugend, großmütig, wie ein echt
weibliches Herz es iſt, wollte Roſy ihm dies Glück gönnen,
ſich um ihr eigenes noch unerkanntes Lieben in den Leichen⸗
ſchleier der Entſagung hüllen, aber das arme, junge Herz,
ungeſtüm wie es von je geweſen, brach faſt darüber!
Jutta erſchrak über den Ausdruck von Leiden, der
plötzlich in einzelnen Sätzen unvermittelt hervorbrach zwiſchen
den Zeilen, die erhöhte Liebe und Verehrung für ſie ſelbſt
atmeten. Sie erſchrak auch über einzelne Klagen, die Roſys
Befinden betrafen und nicht direkt, aber im Laufe ihrer
Lebensſchilderungen, zu Tage traten.
Während die Geſundheit der Mutter erſtarkt war, ſchien
die der Tochter zu leiden; eine tiefe Sehnſucht nach dem länd⸗