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„Meine Geliebten“ — ſprach er bewegt — »nimmer
hätt' ich gehofft, daß der Abend meines Lebens noch ſo
ſchön wie der heutige in der Natur ſein würde. Verdient
habe ich dieſe Gnade nicht. Blind mußte ich werden, um
ſehen zu lernen — ein Bettler, um reich zu werden —
von den Menſchen verſtoßen, um von meinem Erlöſer
aufgenommen zu ſein. Ware ich noch der mächtige Feld⸗
herr mit ſeinen geſunden Augen, würde ich blind für mein
ewiges Heil geblieben ſein. Beſäße ich der Erde Schätze,
ſo wäre ich arm in Chriſto. Fünf und dreißig Jahre
lang habe ich dem Kaiſer Juſtinian gedient. Was iſt mein
Lohn dafür geweſen? Der Raub meiner Augen! Wenige
Wochen hingegen diene ich erſt meinem Gotte und ſchon
hat er mich beglückt, wie kein Sterblicher vermag. Ver⸗
loren habe ich Ehre, Würden, Stand, Augen und Ge⸗
ſundheit — dafür aber eingetauſcht das ewige Leben!
O herrlicher Tauſch! Beliſar, mein Sohn! du haft das
beſſere Theil erwählt. O wohl dir, daß du nicht in
deines Vaters Fußtapfen getreten, kein blutiger Eroberer
geworden biſt, der über Leichen und Brandſtätten einem
ungewiſſen Ziele zuſtrebt, das höchſtens in einem ſchnell
vergehenden Ruhme beſteht. Liebe Gattin! meine Kinder!
ich fühle es, wie die Sanduhr meines Lebens ihrem Ab⸗—
lauf nahe iſt. Hier, unter dem Auge unſers allſehenden
Gottes reichet mir nochmals eure Hand zum Zeichen, daß
ihr meine große Schuld gegen euch mir vergeben wollet.
Fluchet meinem Andenken nicht —“
„Halt' ein, Gatte! Vater! Großvater!“ weinte hier
Groß und Klein unter einander. Aller Hände ſtrebten die
Hand des Greiſes zu erfaſſen. „Nicht ſterben!“ ſchluchzten
die Enkel.
„Wollet ihr mir nicht die Ruhe gönnen, der ich ſo
Nieritz, Beliſar. 8
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